Die Prophezeiung
Liebe, Balin. Du zeigst sie mir jeden Tag, aber ich danke dir für diese wunderschöne Arbeit. Sie bedeutet mir sehr viel.“ Ihr Mann zog sie an sich und küsste sie. In diesem Augenblick schlug ein Laden gegen das Fenster und sie fuhren erschrocken auseinander.
„Was ist denn nun los? Wo kommt denn der Wind auf einmal her?“, schimpfte der Schmi ed, als er durch die Fensteröffnung nach draußen fasste, um den Laden wieder zuzuziehen. Als der Wind das dicke Leder zur Seite schlug, welches vor dem Fensterladen gegen die Kälte hing, gewahrte Balin das Schneetreiben, das plötzlich durch die Gassen trieb. Dunkle Schatten waren am Ende der Gasse schemenhaft zu erkennen. Der Schmied zuckte zurück, schloss den Holzladen und drehte sich zu Moran um.
Er atmete tief ein und legte seine Hände auf ihre Schultern.
„Sie kommen, Moran, es ist soweit!“
Morans Hände zuckten an ihren Hals und legten sich über ihre neue Kette. Als sie das Metall unter ihren Fingern spürte, schluckte sie angespannt, dann griff sie nach Balins Hand. Gemeinsam standen sie wie erstarrt. Sie mussten nicht lange warten. Keine zwei Minuten waren vergangen, da ertönte lautes Klopfen an der Tür. Bevor sie reagieren konnten, flog die Tür auf und mit einer Schneewolke traten zwei riesige Gestalten über die Schwelle. Noch ehe Balin und Moran ihre Besucher genauer erkennen konnten, schien sich die Türe wie von Geisterhand zu schließen und es war einen Moment totenstill im Raum. Dann hörte man ein leises Wimmern und Moran schreckte auf.
Der Schnee fiel langsam zu Boden und die beiden Gestalten traten näher ans Feuer.
Der Größere schob seine Kapuze zurück und Moran konnte nur mit Mühe einen Aufschrei unterdrücken. Das Gesicht war einem Menschengesicht ähnlich und mit einem schwarzen Bartgestrüpp überzogen. Jedoch die Augen waren beinahe schwarz und die Ohren schienen überdimensional groß geraten zu sein. Dennoch war es keine furchterregende Gestalt bis auf die Größe des Wesens. Balin trat vor und versuchte sich seine Überraschung nicht anmerken zu lassen.
„Willkommen, dürfen wir Euch ein Glas heißen Grog anbieten?“, fragte er mit ruhiger Stimme. Moran bewunderte ih ren Mann für seine Ruhe, sie hätte vermutlich kein Wort hervorgebracht. Das Wesen schüttelte den Kopf und antwortete mit einem Grollen in der dunklen Stimme: „Nein, seid bedankt, Balin, für Euer Angebot, aber wir haben nicht viel Zeit. Die Kinder bedürfen der Wärme und einer Mahlzeit, bevor Ihr aufbrecht! Ist alles bereit dafür?“
Moran überlegte, dass sie einen solch seltsamen Akzent noch nie zuvor gehört hatte. Dies war auch kein Wunder, sie hatte auch nie zuvor ein solches Wesen gesehen. Es schlug seinen riesigen Fellmantel zurück und Moran sah einen Säugling in den mächtigen Armen liegen. Schüchtern trat sie einen Schritt näher und sah in ein zartes Gesicht mit großen goldbraunen Augen. Die Haut wirkte etwas rötlich, was an der Kälte liegen konnte, aber die junge Frau vermutete eher, dass das Kind rötliches Haar bekommen würde. Instinktiv streckte sie die Arme aus und das große Wesen legte das Kind vorsichtig hinein. Voller Verzückung sah Moran das kleine Geschöpf an.
„Sie heiß t Zaramé und ist 5 Monate alt, die Daten ihres Geburtstages und die des Jungen findet ihr in diesen Papieren! Dort seid ihr bereits als Eltern eingetragen worden.“
Balin nahm die Dokumente, kam aber nicht dazu hinein zusehen, denn der Begleiter des Dunkelbärtigen schlug nun ebenfalls seinen Umhang zurück und stellte einen etwa zweijährigen blonden Jungen auf den sauberen Boden der Hütte. Selbst im Halbdunkel der Flammen sah man die Schönheit des Knaben. Ohne jede Angst sah er sich um und als Moran niederkniete, noch das Baby im Arm, kam er vertrauensvoll näher. Balin und seine Frau blickten in leuchtend blaue Augen.
„Dies ist Niall, er ist einundzwanzig Monate.“ Gesprochen hatte das zweite Wesen und als Moran aufsah, entdeckte sie , dass es das blonde Gegenstück zu seinem Begleiter war. Es trat auf Balin zu und nahm noch etwas aus den Tiefen seines Umhangs. Zum Vorschein kam ein Gegenstand, welcher wertvoll glänzte und die beiden Eheleute erkannten ein Buch in der Größe eines Gebetbuches mit einem prachtvoll verzierten Umschlag. Kämpfende Männer, ein Drachen und eine Krone, Feuer und Berge waren darauf zu sehen – mit golddurchwirkter Tinte auf dunkelbraunes Leder gezeichnet. Einzelheiten waren im Lichtwechsel der Flammen nicht
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