Die Rache
zusammengekniffene Augen.«
»Vielleicht kann ich ihn mir ja mal ausleihen, wenn Sie fertig sind?«
»Kein Problem, Professor. Aber seien Sie vorsichtig. Oberirdische DVDs sind sehr teuer. Ich gebe Ihnen ein spezielles Tuch.«
Argon nickte. Jetzt erinnerte er sich wieder. Grub Kelp war ausgesprochen eigen, was seine Sachen betraf. Wegen einer hervorstehenden Bodenniete, die einen Kratzer auf seinen Stiefeln hinterlassen hatte, hatte er bereits zwei Beschwerdebriefe an die Leitung der Klinik geschrieben.
Argon überprüfte Kobois Anzeige. Der Plasmabildschirm an der Wand lieferte unablässig die aktuellen Daten der Sensoren, die an den Schläfen der Patientin befestigt waren. Alles war unverändert, wie er es erwartet hatte. Ihre Vitalfunktionen lagen im Normalbereich, während die Gehirntätigkeit quasi gleich null war. Einige Zeit zuvor hatte sie offenbar einen Traum gehabt, aber jetzt war in ihrem Kopf alles wieder ruhig. Zusätzlich teilte ihm die Kontrollanzeige des Seeker-Sleepers in ihrem Arm - überflüssigerweise - mit, dass Opal Koboi tatsächlich dort war, wo sie sein sollte. Normalerweise wurden Seeker-Sleeper im Kopf eingepflanzt, aber Wichtelschädel waren zu empfindlich für direkte Eingriffe.
Argon tippte seine persönliche Codenummer auf der Tastatur der Panzertür ein. Die schwere Tür öffnete sich in einen großzügigen Raum, dessen Boden mit sanft pulsierenden Stimmungslichtern ausgestattet war. Die Wände waren aus weichem Kunststoff, und aus verborgenen Lautsprechern erklangen leise Naturgeräusche. Im Moment plätscherte gerade ein Bach über flache Felsen.
In der Mitte des Raums hing Opal Koboi in einer schwebenden Ganzkörperaufhängung. Die Gurte waren gelgepolstert und passten sich automatisch jeder Körperbewegung an. Falls Opal tatsächlich aufwachte, konnte die Aufhängung über eine Fernbedienung wie ein Netz festgezurrt werden, damit sie sich nicht selbst verletzte.
Argon vergewisserte sich, dass die Sensoren auf Opals Stirn gut befestigt waren. Er hob das eine Lid der Wichtelin an und leuchtete mit einer Stablampe in ihr Auge. Die Pupille zog sich leicht zusammen, aber seine Patientin wandte den Blick nicht ab.
»Na, haben Sie mir heute etwas zu erzählen, Opal?«, fragte der Arzt leise. »Vielleicht das erste Kapitel für mein Buch?«
Argon sprach gerne mit Koboi. Vielleicht konnte sie ihn ja hören, und wenn sie dann aufwachte, hatte er schon eine Beziehung zu ihr aufgebaut. Das hoffte er zumindest.
»Nichts? Nicht ein winziger Hinweis?«
Opal reagierte nicht. Wie sie es schon seit Monaten nicht tat.
»Na gut«, sagte Argon, nahm das letzte Wattestäbchen aus seiner Brusttasche und fuhr damit über die Innenseite ihres Mundes. »Dann vielleicht morgen, hm?«
Er rollte das Wattestäbchen über eine Testfläche auf seinem Klemmbrett. Sekunden später leuchtete auf einem kleinen Monitor Opals Name auf.
»Die DNS lügt nie«, murmelte Argon und warf das Wattestäbchen in einen Recyclingeimer.
Mit einem letzten Blick auf seine Patientin wandte Argon sich zur Tür. »Schlafen Sie gut, Opal«, sagte er fast zärtlich.
Er fühlte sich besänftigt, der Schmerz in seiner Hüfte war fast vergessen. Opal Koboi war so weit abgetaucht, wie es nur ging. Sie würde so bald nicht aufwachen. Der Koboi-Fonds war sicher.
Schon erstaunlich, wie sehr ein Gnom sich irren kann.
* * *
Opal Koboi war nicht katatonisch, aber sie war auch nicht wach. Sie schwebte irgendwo dazwischen, in einer fließenden Welt der Meditation, wo jede Erinnerung wie eine Blase aus buntem Licht sanft in ihr Bewusstsein ploppte.
Von früher Jugend an war Opal Schülerin von Gola Schweem, dem Guru des Reinigungskomas, gewesen. Schweems Theorie zufolge gab es noch eine tiefere Schlafebene als die allgemein bekannte und erlebte. Das Stadium des Reinigungskomas konnte man normalerweise nur durch Jahrzehnte disziplinierten Übens erreichen. Opal gelang ihr erstes Reinigungskoma im Alter von vierzehn Jahren.
Die Vorzüge des Reinigungskomas lagen darin, dass der Unterirdische von Grund auf erfrischt war, wenn er erwachte, zugleich aber die Zeit des Schlafens zum Nachdenken nutzen konnte - oder in diesem Fall zum Pläneschmieden. Opal überlistete die Sensoren, und sie störte sich nicht an dem unwürdigen Zustand, über Schläuche ernährt und entleert zu werden. Das bisher längste aus freiem Entschluss herbeigeführte Reinigungskoma hatte siebenundvierzig Tage gedauert. Opal befand sich jetzt seit über
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