Die Rache
jemand einfach an, um Hallo zu sagen.«
»Beim nächsten Mal. Versprochen.«
»Darauf nagele ich Sie fest. Worum geht's?«
»Mulch und ich haben unseren ersten Kunden. Ein Kunsthändler, dem ein Gemälde gestohlen wurde. Ich bin, ehrlich gesagt, ratlos, und da dachte ich, ich frage einen Fachmann.«
Artemis lächelte. »Ich habe in der Tat einige Erfahrung im Bereich des Kunstdiebstahls. Sagen Sie mir, was passiert ist.«
»Die Sache ist die, dass niemand unbemerkt diesen Ausstellungsraum betreten oder verlassen kann. Das Bild ist einfach verschwunden. Nicht mal Zauberersanitäter haben solche Magie.«
Draußen auf der Treppe erklangen Schritte. »Warten Sie mal, Holly, da kommt jemand.«
Butler stürzte mit gezogener Pistole in den Raum. »Ich bin gerade aufgewacht«, rief er. »Ist alles in Ordnung?«
»Alles bestens«, sagte Artemis. »Sie können die Waffe wegstecken.«
»Ich hatte halb gehofft, Sool wäre noch hier, dann hätte ich ihn ein bisschen erschrecken können.« Butler trat ans Fenster und schob die Gardinen beiseite. »Da kommt ein Wagen die Auffahrt entlang. Ihre Eltern sind von der Kurklinik in Westmeath zurück. Wir sollten uns überlegen, was wir ihnen erzählen. Warum sind wir eher aus Deutschland zurückgekommen?«
Artemis überlegte rasch. »Sagen wir einfach, ich hatte Heimweh. Ich wollte wieder der Sohn meiner Eltern sein. Das zumindest entspricht der Wahrheit.«
Butler lächelte. »Die Ausrede gefällt mir. Ich hoffe nur, Sie brauchen sie nicht noch mal.«
»Das habe ich nicht vor.«
Butler reichte ihm eine zusammengerollte Leinwand. »Und was ist hiermit? Haben Sie sich schon überlegt, was Sie damit machen wollen?«
Artemis nahm den Elfendieb und breitete das Bild auf dem Bett aus. Es war wirklich wunderschön. »Ja, alter Freund. Ich habe beschlossen, das zu tun, was ich tun sollte. Könnten Sie meine Eltern noch einen Moment aufhalten? Ich muss mich um diesen Anruf kümmern.«
Butler nickte und lief, drei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinunter.
Artemis wandte sich wieder dem Funkgerät zu. »So, Holly, jetzt zu Ihrem kleinen Problem. Sind Sie schon auf den Gedanken gekommen, dass das gesuchte Bild sich möglicherweise noch in dem Raum befindet und der Dieb es lediglich versteckt hat?«
»Natürlich, das war mein erster Gedanke. Komm schon, Artemis, ich denke, du bist ein Genie. Benutz deine grauen Zellen.«
Artemis kratzte sich am Kinn. Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Er hörte Reifen auf dem Kies knirschen und dann die lachende Stimme seiner Mutter, als sie aus dem Auto stieg.
»Arty?«, rief sie. »Wo steckst du? Wir wollen dich sehen.«
»Komm herunter, mein Junge«, rief sein Vater. »Wo bleibt unsere Begrüßung?«
Artemis merkte, dass er lächelte. »Holly, können Sie später noch mal anrufen? Ich habe jetzt keine Zeit.«
Holly versuchte, beleidigt auszusehen. »Na gut. In fünf Stunden, und ich hoffe, du hast bis dahin ein paar Ideen für mich.«
»Keine Sorge, die habe ich bestimmt. Und meine Honorarrechnung.«
»Manche Dinge ändern sich nie«, seufzte Holly und legte auf. Artemis verschloss das Funkgerät eilig in seinem Zimmersafe und lief dann zur Tür hinaus. Seine Mutter stand schon unten an der Treppe und erwartete ihn mit weit geöffneten Armen.
EPILOG
Ein Artikel aus der Irish Times
von Eugene Driscoll, Kulturkorrespondent
Letzte Woche erlebte die Kunstwelt eine Sensation, als ein verloren geglaubtes Bild von Pascal Hervé, dem berühmten französischen Impressionisten, wieder auftauchte. Das Bild mit dem Titel Der Elfendieb (Öl auf Leinwand), über dessen Existenz bisher nur Gerüchte kursierten, wurde an das Museum des Louvre in Paris gesandt. Der Absender, vermutlich ein Kunstliebhaber, hatte das unbezahlbare Meisterwerk einfach mit der normalen Post geschickt. Die Echtheit des Bildes wurde inzwischen von sechs unabhängigen Experten bestätigt.
Ein Sprecher des Louvre hat angekündigt, das Bild werde innerhalb der nächsten Wochen ausgestellt. So bekommt das kunstbegeisterte Publikum zum ersten Mal seit hundert Jahren wieder die Gelegenheit, sich an Hervés Meisterwerk zu erfreuen.
Doch das spannendste Detail an der ganzen Geschichte ist die maschinengetippte Nachricht, die dem Elfendieb beilag. Sie lautete kurz und knapp: Fortsetzung folgt. Ist dort draußen jemand, der es sich zum Ziel gesetzt hat, dem Volk verlorene oder gestohlene Meisterwerke zurückzugeben? Falls ja, sollten die Sammler sich vorsehen.
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