Die Räder der Welt - Lake, J: Räder der Welt - Mainspring
Gestalt und seine Gesichtszüge ließen ihn als kleinere, schmächtigere Kopie seines Vaters erkennen. Meister Franklin Bodean hatte ein rötliches Gesicht und dichtes dunkles Haar mit ein paar silbernen Strähnen, doch sein Sohn war blass und grünäugig, und seine sandfarbenen Haare lichteten sich bereits. Die Farbe verdankte er seiner verstorbenen Mutter, Mistress Bodean, die Hethor nur ein Jahr lang gekannt hatte, bevor ein Schlaganfall sie ihrer Sprachfähigkeit beraubte und schließlich ins Grab beförderte.
»Bist du im Auftrag meines Vaters hier?«, fragte Pryce mit seiner klaren, ernsten Stimme, als übte er sich an einer Predigt. »Pförtner Andrew hat so etwas angedeutet.«
»Nein, Sir«, sagte Hethor bescheiden. Er musste vorsichtig sein, sonst würde Pryce ihn kurzerhand hinauswerfen und Meister Bodean eine Nachricht zukommen lassen, dass er sich herumtreibe, anstatt in der Schule zu lernen. »Ich brauche dringend einen Rat.«
»Ein Lehrling erhält seine Unterweisung von seinem Meister.« Pryce legte leichte Verärgerung in seine wohlklingende Stimme. »Sicher kann dir mein Vater bei all den belanglosen Dingen helfen, mit denen dein fauler Kopf sich beschäftigt.«
»Nicht in diesem Fall, Sir.« Hethor merkte, wie die Worte aus ihm herausplatzten, obwohl er sich geschworen hatte, vorsichtig zu sein. Außerdem spürte er, wie seine Abneigung gegenüber den Söhnen Meister Bodeans neuen Auftrieb erhielt. »Es handelt sich um ein ... ein himmlisches Problem.«
»Himmlisch?« Pryce bedachte ihn mit einem verächtlichen Blick. »Ha. Es ist schon schlimm genug, dass du nicht dazu fähig bist, in der Werkstatt meines Vaters zu arbeiten, und jetzt wirst du auch noch anmaßend! Was soll ein einfacher Lehrling denn schon über Göttlichkeit wissen? Bist du in letzter Zeit überhaupt zur Messe gegangen, Bursche?«
»Nicht oft genug, Sir, nein.« Hethor starrte auf seine vom Morgentau feuchten Stiefel. Er versuchte nicht an den Ärger zu denken, den er sich gerade einbrockte, und lenkte sich mit dem Gedanken ab, dass die Stiefel früher vermutlich Pryce gehört hatten. Aber wen sonst konnte er bei einem solchen Problem um Rat fragen?
Pryce seufzte, genauso gekünstelt und übertrieben wie der Klang seiner Stimme. »Gab unser Heiland auf Pilates’ Räderwerk sein Leben für einen wie dich? Den Lehrling eines Uhrmachers, der nicht einmal den einfachsten christlichen Verpflichtungen nachkommen kann und obendrein seine Arbeit vernachlässigt, indem er müßig durch die Stadt spaziert? Ich sollte dich melden, Bursche, aber es würde das törichte alte Herz meines Vaters brechen. Also sag schon, was willst du?«
Hethor überlegte, wie er sich herausreden konnte. Es war offensichtlich, dass Pryce ihn nicht ernst nahm. Doch er kam zu der Überzeugung, sich nun nicht mehr aus dem Gespräch zurückziehen zu können; es war besser, er versuchte es mit der Wahrheit und hoffte darauf, dass Pryce ihn verstand, als sich der Blamage zu stellen, für die der Sohn des Meisters ihn so gerne verantwortlich machen wollte. Hethor legte die silberne Feder auf den Tisch. Ihre scharfen Kanten waren noch dunkel von seinem Blut. »Dies ist ein Beweis, Mister Bodean, für eine ... eine Nachricht, die ich erhalten habe. Es geht um den Schlüssel der Ewigen Bedrohung.«
Pryce streckte die Hand nach der Feder aus und berührte sie mit einem Finger. »Und was genau soll deiner Meinung nach der Schlüssel der Ewigen Bedrohung sein, junger Lehrling Hethor?«, fragte er betont langsam.
Hethor bemerkte, dass Pryce ihn nicht mehr mit jedem Wort beleidigte. »Ich weiß es nicht, Sir«, sagte er leise und betete inständig zu Gabriel und Gott dem Allmächtigen, dass es kein Fehler gewesen war, hierher zu kommen. Würde es ihm nun wie Schuppen von den Augen fallen? Vielleicht war der ernste Tonfall, in dem Hethor seine Frage gestellt hatte, nicht spurlos an Meister Bodeans Ältestem vorübergegangen.
Pryce nahm die Feder auf und starrte Hethor an. Seine grünen Augen schienen eine neue Tiefe zu bekommen, als er innerlich mit seiner Ungeduld und seinen Gedanken zu kämpfen schien. Schließlich sagte er so langsam, als müsse er sich dazu zwingen:
»Es ist eine Legende, du dummer Junge. Albernes Geschwätz von der Südlichen Hemisphäre. Magischer Unfug, so wie das Gerede vom Stein der Weisen oder dem Heiligen Gral. Manche Menschen sehen Gottes Schöpfung vor ihren Augen, erblicken seine Spuren und Zahnräder hoch oben am Himmel und glauben,
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