Die Rättin
Ratte ist, umgesetzt werden soll. Ein im Jahr 1900 gebauter Besanewer, der mehrmals seinen Eigner und Heimathafen gewechselt, seinen Besanmast verloren, doch nach letztem Umbau einen starken Dieselmotor gewonnen hat, ein Schiff, das nunmehr, als müsse es ein Programm verkörpern, auf den Namen »Die Neue Ilsebill« hört und bald mit Frauen bemannt sein wird, wurde im Hafen von Travemünde vom Lastewer zum Forschungsschiff umgerüstet. Im Vorschiff ist der enge Schlafraum für die weibliche Mannschaft mit einer Bretterwand abgeschlagen. Zum Schrank ausgebaut, bietet die Bugspitze Raum für Seesäcke, Bücher, Strickzeug und Erste-Hilfe-Kram. Im Mittelschiff soll der Frachtraum mit langem Arbeitstisch künftig der Forschung dienen. Überm Maschinenraum mit dem neuen 180-PS-Motor ist das Steuerhaus, eine Holzlaube mit Fenstern in jede Richtung, zum Heck hin um eine Kleinküche erweitert worden: mehr Verschlag als Kombüse.
Mit fünf Frauen überbelegt: eng und nur mäßig wohnlich ist es an Bord. Alles zweckbestimmt: der Forschungstisch muß auch Eßtisch sein. »Die Neue Ilsebill« soll bundesdeutsche, dänische, schwedische und falls die Genehmigung eintrifft Küstengewässer der DDR befahren. Der Auftrag ist vorgeschrieben: Punktuell muß die Quallendichte der westlichen Ostsee vermessen werden, denn die Verquallung des baltischen Meeres nimmt nicht nur statistisch zu. Der Bädertourismus leidet. Überdies schädigen Ohrenquallen, die von Plankton und Heringslarven leben, das Fischereiwesen. Das Institut für Meereskunde, mit Sitz in Kiel, hat deshalb Forschungsaufträge vergeben. Natürlich sind, wie immer, die Mittel knapp. Natürlich soll nicht die Ursache der Verquallung erforscht werden, einzig die Fluktuation der Bestände. Natürlich weiß man schon jetzt, daß die Meßdaten schlimm sein werden. Das sagen die Frauen an Bord des Schiffes, die alle lachlustig, spottsüchtig, spitzzüngig und notfalls giftig ätzend sein können; angegraut sind sie die Jüngsten nicht mehr. Schon bei der Ausfahrt backbord die Mole, besetzt mit winkenden Touristen teilt die Bugsee überreichen Quallenbestand, der sich hinterm Heck verquirlt wieder schließt.
Für diese Reise haben sich die fünf Frauen, wie ich sie wünsche, anlernen lassen. Sie können Knoten schlagen und dichtholen. Das Belegen einer Klampe, das Aufschießen einer Leine geht ihnen von der Hand. Sie können die Betonnung des Fahrwassers lesen, mehr oder weniger gut. Seemännisch nehmen sie Kurs. Die Kapitänin Damroka hat ihr Patent hinter Glas rahmen lassen und ins Steuerhaus gehängt. Kein Bildchen sonst, das Schmuck bedeuten könnte, dafür ein neues AtlasEcholot zum alten Kompaß und ein Wetterempfänger. Zwar ist bekannt, daß die Ostsee von Algen verkrautet, durch Tangbärte vergreist, von Quallen übersättigt, obendrein quecksilbrig, bleihaltig, was noch alles ist, aber erforscht muß werden, wo sie mehr oder weniger, wo sie noch nicht, wo sie besonders verkrautet, vergreist, übersättigt ist, ungeachtet aller Schadstoffe, die anderenorts bilanziert sind. Deshalb wurde das Forschungsschiff mit Meßinstrumenten ausgerüstet, von denen eines »Meßhai« heißt und scherzhaft »Quallenzähler« genannt wird. Außerdem sollen die Vorkommen von Plankton und Heringslarven, was alles sonst noch die Qualle frißt, gemessen, gewogen, bestimmt werden. Eine der Frauen ist als Meeresforscherin ausgebildet. Sie kennt alle Zahlen verjährter Messungen und die Biomasse der westlichen Ostsee bis hinters Komma genau. Auf diesem Papier wird sie fortan die Meereskundlerin genannt werden.
Bei schwachem Nordwest nimmt der Forschungsewer Kurs. Ruhig wie die See und ihrer Kenntnisse sicher, gehen die Frauen seemännischer Arbeit nach. Langsam, weil ich das so will, gewöhnen sie sich daran, einander nach ihrer Funktion zu nennen und »He, Maschinistin!« oder »Wo steckt die Meereskundlerin?« zu rufen. Nur die älteste der Frauen wird von mir, obgleich sie die Küche besorgt, nicht Smutje, sondern die Alte genannt.
Noch muß der Meßhai nicht ausgefahren werden. Zeit bleibt für Geschichten. In Dreimeilendistanz zu den Seebädern der holsteinischen Küste erzählt die Kapitänin der Steuermännin aus Vorzeiten, als sie siebzehn Jahre lang ihrer Kirchgemeinde treu gewesen war und elf Pfaffen, einen nach dem anderen, überlebt hat. Zum Beispiel hat sie dem ersten »Das war son Mucker, der kam aus Sachsen« die immer zu lange Predigt mit dem Choral »Es ist genug« gekürzt.
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