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Die Geschichte einer Kontra-Oktove

Die Geschichte einer Kontra-Oktove

Titel: Die Geschichte einer Kontra-Oktove Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Pasternak
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Erster Teil

    .

    Der Gottesdienst war zu Ende. Rauschen von Reifröcken und Rundschleppen, Rascheln steif abstehender Spitzenmanschetten und Falbeln wogte dem Ausgang zu. Als das letzte Kleider-Rauschen verweht war, wurde es kalt unter den Gewölbebogen und sinnlos leer: das Innere der unbeseelten, öden Kirche glich nun der Glasglocke einer ungeheuren Saugpumpe; durch die engen Ventile der hohen, schmalen Fenster flössen über Banklehnen und Stuckschnörkel die erkalteten Lichtströme eines weißen unfruchtbar gewordenen Mittags, angesaugt von der Leere des weiten Raumes; wie schräg geneigte Säulen legten sie sich mit der ganzen Masse ihres Lichts auf das Schnitzwerk der breiten Bänke, um nicht auf dem Steinfußboden auszugleiten oder an den staubigen Pulten zu zerschellen.
    Zu dieser Zeit begann der Organist sein Spiel zu steigern. Er ließ sich und sein Instrument in dem Augenblick frei, als nach dem letzten kläglichen Winseln einer langgezogenen retardierenden Kadenz das Scharren und Schlurfen der Bauern und Städter, die sich aus ihren Bänken herausschoben und dem Ausgang zustrebten, durch die Kirche hallte. An der Schwelle entstand Gedränge; den Hinaustretenden quoll der heiße Atem eines trokkenen Maitages entgegen. Murmelnd drängte die Menge auf den Kirchplatz hinaus, und im Freien wurde ihr Gemurmel plötzlich bunt und lebhaf, von Sonne übergössen, von hitzigem Vogelgezwitscher durchstoßen. Aber diesseits des sonnengleißenden Platzes, hinter den weit offenen Kirchentüren gab der freundliche Knauer der Gemeinde das Geleit. In der Menge draußen konnten die Klänge seiner jubelnden Inventionen leicht getreten oder beschädigt werden, die zwischen den auseinandergehenden Kirchgängern herumsprangen, sich ihnen an die Brust warfen wie mutwillige Vorstehhunde, außer Rand und Band vor Freude, daß sie so viele sind bei nur einem Herrn, denn der Organist hatte die Gewohnheit, die ganze Meute seiner zahllosen Register nach dem Gottesdienst loszulassen. Längst war die Kirche leer. Aber der Organist spielte weiter.

    Jede Kraft, deren rasches Wachstum nicht von einem Plan gezügelt wird, erreicht schließlich eine Grenze, an der sie, verharrend, niemanden mehr neben sich hat. Die melodiöse Kantilene der Invention gedieh von Minute zu Minute voller und schöner, verströmte sich in reifer Fülle; und als die Einsamkeit sie durchdrang und ihre ganze Gestalt mit dem Unbehagen einer Kraf erfüllte, die nichts mehr für sich zu tun findet, erschauerte der Organist in jenem Gefühl, das nur der Künstler kennt, erschauerte vor der Übereinstimmung zwischen ihm und der Kantilene, vor der dunklen Ahnung, daß sie ihn ebenso gut kannte wie er sie, erschauerte vor der Anziehungskraf Ebenbürtiger. Er war stolz auf sie, ohne zu wissen, daß ihre Gefühle gegenseitig waren.
    Der Organist spielte und vergaß die Welt ringsum. Eine Invention ging in die andere über, verwandelte sich in die nächste. Es kam aber auch vor, daß das ganze Klanggeschehen unversehens rittlings nacheinander in die Bässe herabstürzte. Hier im Reich der vornehmen Prinzipale setzte sich die stärkste und edelste Oktave an die Spitze und beherrschte das Motiv vollständig. Es näherte sich mit tosender, drohender Geschwindigkeit dem Orgelpunkt. Es stürmte unversehrt am letzten Glied der Sequenz vorbei, einige Schritte von der Dominante entfernt, als plötzlich die ganze Invention in einem einzigen Augenblick absolut und unwiderruflich verwaiste. Es war, als seien von allen Registern gleichzeitig die Klappen heruntergerissen worden, oder als hätten sie selbst alle auf einmal ihre Köpfe entblößt, als bei der riskantesten Wendung des Pedal-Satzes die Orgel mit zwei Manualen den Gehorsam verweigerte, und sich aus der grandiosen Bastion der Pfeifen und Ventile ein unmenschlicher Schrei riß – unmenschlich, weil er von einem Menschen zu stammen schien. Dieser unerklärliche Schrei wurde jedoch rasch von anderen Tönen aufgefangen und überdeckt, und obwohl aus den beiden Manualen nichts mehr herauszuholen war außer dem Klopfen von Holz auf Holz, ertrug der Organist unbeirrt den Verlust. Und genau so wenig wie er eine halbe Stunde vorher seiner Frau erlaubt hatte, ihn von der Orgelbank loszureißen, konnten ihn jetzt die störrischen Manuale dazu bringen, aufzuhören. Vor einer halben Stunde war seine Frau durch die Seitentür gekommen und hatte laut durch die leere Kirche gerufen, daß Auguste, seine Schwester, schon da sei, er

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