Die Regenbogentruppe (German Edition)
einzige Bild, das wir hatten, war ein Poster direkt hinter dem Tisch von Bu Mus, welches das Loch in der Holzwand hinter ihr abdecken sollte. Darauf war ein energischer Mann mit einem dichten Bart zu sehen, in einem langen Gewand, die Gitarre über die Schulter geschlungen. Sein melancholischer Blick stand in Flammen, als hätte er im Leben nur Schmerz und Bitterkeit erfahren, und ganz offensichtlich hatte er die feste Absicht, mit seiner Musik aller Schlechtigkeit dieser Welt entgegenzutreten. Der Mann blickte zum Himmel, aus dem haufenweise Geldscheine und Münzen auf ihn herunterregneten. Es war der Dangdut-Sänger Rhoma Irama, das Idol der Malaien auf dem Land, ihr Elvis Presley.
Unten stand etwas in großen Lettern, was ich anfangs nicht lesen konnte. Erst in der zweiten Klasse konnte ich sie entziffern: Rhoma Irama, Hujan Duit! – Rhoma Irama, Geldregen!
Stellt euch einfach alle Widerwärtigkeiten vor, die einer Klasse widerfahren können: ein Dach mit solchen Löchern, dass man im Unterricht die vorüberfliegenden Flugzeuge sehen konnte und Schirme aufspannen musste, wenn es regnete. Ein zu Sand zerbröselter Zementboden, Stürme, bei denen wir fürchten mussten, dass jeden Moment das Schulgebäude über uns zusammenbrechen würde. Und bockige Ziegen, die man morgens aus dem Klassenraum vertreiben musste. Alles das war für uns an der Tagesordnung.
4 Genau wie unsere Schule ist auch unser Lehrer Pak Harfan leicht beschrieben. Sein dicker Schnurrbart ging in einen dichten, braungrau melierten Backenbart über. Er wirkte etwas unheimlich.
Pak Harfan trug an jenem ersten Tag das für fromme Muslime übliche Gewand, das früher sicher einmal grün gewesen war, nun aber in ein graues Weiß übergegangen war. Allerdings konnte man das ursprüngliche Grün noch an einigen Stellen erkennen. Sein Hemd hatte einige Löcher, und seine Hose war durch das viele Waschen auch schon einigermaßen zerschlissen. Um die Taille hatte er einen billigen Plastikgürtel mit Rautenmuster geschlungen. Der Gürtel hatte eine lange Reihe von Löchern, ein Zeichen dafür, dass er ihn schon als kleiner Junge getragen haben musste.
Er hatte etwas von einem Bären an sich, sodass man Angst bekam, wenn man ihn zum ersten Mal sah. Doch im Nu hatte er unsere Herzen gewonnen. Er strahlte Sanftmut und Zärtlichkeit aus. Er beeindruckte uns als Mensch, der genug hatte von der Bitterkeit und den Kämpfen des Lebens, er war so reich an Erfahrungen wie das Meer, er war klug und war sich seiner Anziehungskraft bewusst, die darin bestand, etwas so zu erklären, dass es jedermann verstand.
Pak Harfan empfand es als Glück, vor Schülern zu stehen. Er war der typische Lehrer aus Leidenschaft, der wie ein indischer Guru nicht nur sein Wissen weitergibt, sondern auch der Freund und Mentor seiner Schüler ist. Er vermochte seine Stimme sehr schön zu modulieren, er fasste den Lehrertisch fest an beiden Seiten, wenn er etwas ganz besonders betonen wollte, und reckte dann wieder die Hände nach oben, als flehte er eine Gottheit um Regen an.
Wenn wir eine Frage hatten, kam er mit kleinen Schritten auf uns zu, sah uns mit seinem ruhigen Blick auf eine Weise an, die einem das Gefühl gab, das wertvollste Kind überhaupt zu sein. Oft flüsterte er uns etwas ins Ohr, zitierte einige Verse aus einem Gedicht oder aus dem Koran und versank dann für einen Augenblick in Schweigen, als hinge er voll Sehnsucht einer lang verlorenen Liebe nach.
Er weckte in uns die Begeisterung zu lernen und ermunterte uns, Schwierigkeiten aller Art zu überwinden. Er machte uns klar, was es bedeutet, einen Standpunkt zu vertreten, was es heißt, ein Ziel beharrlich zu verfolgen. Er ließ uns erkennen, dass das Leben selbst in Armut Glück bedeuten kann, wenn es von der Begeisterung für den Grundsatz erfüllt ist, so viel wie möglich zu geben, nicht, so viel wie möglich zu bekommen. Seine Familie ernährte er von einem Gemüsegarten hinter seinem Haus.
Wenn Pak Harfan zu uns sprach, hörten wir mit gebannter Aufmerksamkeit zu und konnten kaum den nächsten Satz erwarten. Ich war unsagbar glücklich, dort zu sein, inmitten all dieser besonderen Menschen. In der armseligen Kargheit unserer Schule empfand ich eine Schönheit, die ich gegen keinen noch so großen Luxus anderswo hätte tauschen mögen.
Aber unsere erste Unterrichtsstunde hatten wir bei Bu Mus. Jeder von uns musste nach vorn treten und sich vorstellen. Als Letzter kam A Kiong an die Reihe. Als er
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