Die Jäger des Roten Mondes
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Jener Lichtfleck hing, wie es schien, schon seit geraumer Zeit an derselben Stelle des Himmels.
Dane Marsh faulenzte auf dem Vordeck der Seadrift, nackt bis auf die Badehose und ein lose über seine sonne n verbrannten Schultern geworfenes Hemd, und beobachtete den reglosen Lichtfleck.
Sonnenlicht auf der Tragfläche eines Flugzeuges, dachte er, ein Lebenszeichen, das erste seit Tagen. Menschliches Leben jedenfalls, ansonsten jede Menge fliegende Fische, Delphine und, je nachdem, wie weit man die Skala dessen ausdehnte, was man als Leben bezeichnen wollte, Billionen und aber Billionen von Krabben und Plankton.
Aber wir sind jenseits der normalen Fluglinien und weit entfernt von den Schiffsrouten. Das letzte Schiff, das ich g e sichtet habe, war der Tanker vor neunzehn Tagen.
Er fragte sich, ob es wirklich ein Flugzeug war.
Für einen Augenblick beschäftigte er sich mit dem G e danken an Männer in feinen Anzügen, Frauen in Seide n strümpfen und Pelzen, die achtzehnhundert Meilen von der nächsten Küste entfernt, in wohlgeordneten Reihen saßen, sich vielleicht sogar einen Film ansahen. Hier draußen, wo vor zweihundert Jahren Kapitän Bligh und zweiundzwanzig Männer, dem Hungertod nah und von der Sonne verbrannt, Wochen und Monate in einem offenen Boot gesegelt waren. Und nun überquerten die Pan American Airlines dasselbe Gebiet in ein paar Stunden, gerade Zeit genug für die Ers t aufführung eines amerikanischen Films und ein paar Drinks.
So ein eisgekühlter Drink könnte mir jetzt nicht schaden, dachte Dane. Die Seadrift war zwar mit Proviant ganz gut versorgt, wenn man es recht bedachte, mit gefriergetrockn e tem Chow Mein und Boeuf Stroganoff, aber er hätte jetzt gern einen kühlen Long d rink auf Eis von einer dieser hü b schen Stewardessen serviert bekommen. Ein Eisschrank auf einem Neun-Meter-Boot wäre allerdings etwas übertrieben gewesen.
Verdammt, dieses Flugzeug scheint sich nicht vom Fleck zu bewegen. Es hängt nur da. An einer Stelle.
Es kann also offensichtlich kein Flugzeug sein, sagte D a ne zu sich selbst, ohne seinen bequemen Aussichtsplatz zu verlassen. Ein Lichtreflex auf einer Wolke oder so etwas.
Meilenweit um ihn herum, in jeder Richtung, erstreckte sich der ruhige Pazifik. Kleine Wellen trieben langsam, fast unmerklich aus dem Osten und verloren sich gen Sonnenu n tergang. Die Seadrift glitt dahin. Das großflächige Spinnaker war gesetzt, um auch das leichteste Lüftchen einzufangen – gewöhnlich kam gegen Abend eine leichte Brise auf –, aber im Moment war sogar die einsame Besatzung überflüssig. Dane Marsh wußte, er sollte aufstehen, die Selbststeueranl a ge überprüfen, hinuntergehen, sich eine Kanne Tee machen und eine Angel aushängen, falls ein Fisch sich über Nacht hierher verirren würde, aber Sonne, Meer und Stille zusa m men hatten eine fast hypnotisierende Wirkung auf ihn au s geübt. Er starrte auf das ferne, reglose Licht, das immer mehr wie der typisch runde Sonnenreflex auf glänzendem Metall aussah, auf der Tragfläche eines weit entfernten Flugzeuges. Ihm gefiel der Gedanke, daß es ein Flugzeug war, daß andere menschliche Wesen in Sichtweite waren, wenn auch außer Reichweite. Stewardessen in Miniröcken.
Es ist jetzt genau zweihundertvierundachtzig Tage her, daß ich eine Frau gesehen habe, die englisch sprechen konnte. Oder selbst eine, die es nicht konnte. Warum, zum Teufel, kam ich überhaupt auf diese Idee? Allein in einem kleinen Boot um die Welt segeln! Wenn ich der erste wäre. Oder wenigstens der schnellste.
Damals schien es eben eine gute Idee zu sein, das war a l les.
Was war schon dabei, daß er nicht der erste war? Heutz u tage war alles, was es an Abenteuerlichem zu geben schien, schon getan. Den Mount Everest besteigen, allein um das Kap Horn segeln, den Nordpol erreichen. Alles, außer zum Mond zu fliegen, und dazu brauchte man eine Ausbildung und Förderung, die er nie erhalten würde.
Ich beneide den ersten, der zu Fuß um ihn herum wa n dert, das wird ein Abenteuer für i r gendeinen verdammten Glückspilz, eines Tages …
Widerwillig erhob sich Dane Marsh aus seiner bequemen Lage. Es gab Arbeit. Die Segel flatterten heftig unter den ersten Stößen des aufkommenden Nachtwindes. Er zurrte den Klüver und den ausgestellten Spinnaker etwas fester, bestimmte den Kurs neu und ging dann hinunter, um sich etwas zum Abendessen zu suchen. Die Kajüte unter Deck war erstickend heiß. Er hatte überlegt, ob er die ruhige See
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