Die Reise Nach Helsinki
Elberfeld, der mir fast noch prächtiger vorkam als
der von Soderberg. Hätte sie es doch gelassen, diese dumme Tante
mit diesem dummen Brief. Sein Herzenswunsch, er würde die Kosten
übernehmen. Und damit wir es auch glauben, dass sie in Pracht und
Herrlichkeit leben, die angeberische Annonce, tatsächlich eine
halbe Zeitungsseite. Was denkt die denn von uns dummen Finnen, dass
wir unsere Reisen nicht selbst bezahlen können? Typisch deutsch,
deren Arroganz ist wirklich nicht zu überbieten.
Es kommt mir alles so gespenstisch
vor, als seien die Dinge wie unter Zwang aufeinander zugelaufen,
als stecke ein Plan dahinter: Matte fällt der Brief aus Deutschland
in die Hände, er kann ihn natürlich nicht lesen, denkt aber, Pekka
will mich holen, wie vor zehn Jahren, als er kommen wollte. Das hat
Matte damals schrecklich geängstigt, und ich musste lange auf ihn
einreden, um ihn zu beruhigen. Gleichzeitig trifft er diesen
gemeinen, verschlagenen Hund, der ihm Zyankali gibt. Ich würde ihm
eigenhändig den Hals herumdrehen, wenn er mir in die Hände
fiele.
Und ich wundere mich, dass plötzlich
das ganze Geld weg ist, dass das Kästchen, das in meinem
Schreibtisch steht und von dem Matte weiß, dass es ihm gehört, leer
ist. Gib ihm den Zaubertrank, der Ulda wird dein Kind nicht
bekommen, dein schönes Kind, nach dem er schon einmal die Hand
ausgestreckt hat, du musst die Uldas auslöschen, sie und ihre
Kinder.
Diese Lappen mit ihrem dummen
magischen Glauben. Niemals, niemals mehr wollte ich nach Inari,
niemals mehr wollte ich die einsame Weite sehen, die entsetzliche
Stille hören, die nur von einzelnen Vogelschreien und dem Schnauben
der Tiere unterbrochen wird, niemals mehr wollte ich in der
rauchigen Kote hocken müssen, damit die Mücken mich nicht
zerfressen, niemals mehr das zähe Rentierfleisch und das
staubtrockene Brot aus Baumflechten hinunterwürgen müssen, damit
ich überhaupt etwas zwischen den Zähnen habe, niemals mehr von
einer Nebelbank überrascht werden und stundenlang darin sitzen, so
einsam, als wäre man auf dem Mond, niemals mehr das Brausen, das
hohe Singen eines Unwetters hören, wenn es über dem kochenden See
heranstürmt und die Welt in Dunkelheit und Angst taucht. Aber nun
wird es noch einmal sein müssen, zum letzten Mal, das schwöre ich.
Wir werden es schaffen, Oleg und ich werden dich zurückbringen,
Matte, wir werden dich nicht der finnischen Justiz und erst recht
nicht den Polizisten aus dem großdeutschen Kaiserreich überlassen.
Lieber Gott, wenn es dich gibt, schick mir bitte ein Auto, damit
Matte nicht noch etwas Entsetzliches auf sein Gewissen
lädt.
*
In den kalten Winternächten brauchst
du viele Rentierfelle, kulta, ein junges, flaumiges wickelst du dir
mit den Haaren nach innen direkt um den Leib, darüber ziehst du
Beinkleider und Jacken, die die Lappen kunstvoll zu nähen wissen,
da bist du warm wie im Himmelbett. Und wenn
du in der Kote liegst und hinausschaust, und der Sternenhimmel
liegt wie ein Diamantenteppich über das weiße Schneefeld, dann
kannst du denken, dass du im Paradies bist. Manchmal bläst dir ein
Rentier ins Gesicht, so, so, ganz warm schnaubt es in den Traum von
meinem kullan muru hinein, von meiner kleinen Schneeprinzessin mit
ihrer Krone aus Eiskristall. Runde Tropfen fallen von der Krone
herunter und ordnen sich zu einem funkelnden Kreis, während Pekka
über das Schneefeld emporschwebt. Seine Augen lachen und leuchten
blaugrün zwischen den Sternen hervor. Isi, bleib bei mir, du kannst
mich doch nicht allein lassen! Die Sterne verschwinden in Schwärze
und Nebel, Schneesturm peitscht die Wölfe, die Teufel, sie brennen
wieder.
Schweißgebadet fuhr Anna hoch und
brauchte eine Weile, bis sie gewahr wurde, dass es heller Morgen in
Helsinki war und sie neben Lina im Bett lag. Es war Mittsommer, sie
mussten schleunigst aufstehen und Ulla bei den Festvorbereitungen
helfen. Was sollte das für ein Fest werden? Wie konnten sie feiern,
wenn der Mörder immer noch nicht gefunden war und überall nur
Verwirrung herrschte? Was war mit Minna, die sie seit zwei Tagen
nicht gesehen hatte? Würde Riikka kommen? Würde sie ihre Schwester
überhaupt noch kennen lernen, bevor sie wieder nach Hause fuhren?
Es wurde Zeit, an die Heimreise zu denken, sie konnten Soderbergs
Gastfreundschaft nicht unbegrenzt in Anspruch nehmen. Und
schließlich: Was war mit ihr und Hugo? Sie hatte Sehnsucht nach
ihm, seit dem Besuch beim russischen Geheimdienst hatte sie ihn
nicht mehr
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