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Die Rekonstruktion des Menschen

Die Rekonstruktion des Menschen

Titel: Die Rekonstruktion des Menschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erik Simon (Hrsg)
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Tiefe der Jahrhunderte hervorgeholten Lehren
weckten Bewunderung und Respekt. Nur Einfältige, die sich an Worte
klammerten, sagten, daß d’Arche die erwähnte Substanz
von Verwandten und Nahestehenden bevorzugte – wenn einem aber die
Familie lieber ist, was dann?
    Die Verlogenheit dieser Kritiker entlarvten die
Steißler, die Schüler des Marquis und Fortsetzer seines
Vermächtnisses, das auf der Theorie des Dozenten Freund
fußte. Dieser Seelenkenner hatte nachgewiesen, daß das
Bewußtsein eine Flut von Lügen auf der Oberfläche der
Seele ist, aus Angst vor dem, was tiefer steckt. (»Ich denke,
also lüge ich.«) Freund riet jedoch zu Kur, Sublimation und
Resignation, die Steißler dagegen forderten Entluderung durch
Genuß bis zur Übersättigung. Sie gründeten
Bloßarien und nauseale Museen, um sich darin den eigenen
Gelüsten und denen der Bekannten hinzugeben. Eingedenk dessen, was
d’Arche gebot, kultivierten sie gerade den bewußten
Körperteil. Einer der herausragendsten Vertreter dieser Bewegung,
der Dozent Inzestus Wichs, pflegte zu sagen, nur Sempiterna Semper
Fidelis – ansonsten gäbe es nichts Sicheres auf der Welt.
Weil man bereits viel vom Schutz der Umwelt sprach, verunreinigten die
Steißler sie gehörig. Außer der Koprosophie
faszinierte die Futoromantie die Gemüter. Gegen Ende des
vergangenen Jahrhunderts verbreitete sich die Schwarzseherei, die jetzt
belächelt wird, denn für einen durch die Robotisierung
verlorenen Arbeitsplatz wurden zwanzig neue gewonnen. Es entstanden
Berufe, die in der Geschichte bis dahin unbekannt gewesen waren sei es
der Orgianist, der Derangeur und Malträteur (der auf hunderterlei
Weise zu malträtieren verstand), der Trianglist (der auf
Bestellung das Familienleben dramatisierte, indem er
Dreiecksverhältnisse schuf, wo es keine gab), der Exterrier und
der Sexterrier (der erste war einfach ein ehemaliger Hund, der zweite
aber widmete sich der Sodomistik, einer Abart der Automistik oder der
Kunst solcher Stoßaktionen, die sich dank der Automatisierung von
selbst vollziehen). Dem Diktat der Mode folgend, installierten sogar
die Physiker an ihren Apparaten Pornoelemente.
    Diese Reformation löste schnell eine
Gegenreformation aus, deren Wortführer der Epoche alles
verübelten und deshalb Anschläge auf Spermabanken und
Ferritkern-Fiesitätenspeicher verübten. Neben diesen
Sprenglern betätigten sich Abnegaten, Propagandisten der
Rückkehr zum Höhlenleben, wie Stink und Schlung, die zur
Schlamperei und zum Verschlingen von wer weiß was animierten,
weil ringsum alles steril und schmackhaft war. Was das schöne
Geschlecht betraf, so meuterte es total. Die Anführerinnen der
Bewegung lancierten zwei neue Ideale der Weiblichkeit die Freudengattin
und die Schwinx –, um befreierisch an die uralten Mythen
anzuknüpfen. All das führte zu einem Chaos, die meisten
Serneniden vertrauten gleichwohl auf die Wissenschaft, die ohne Zaudern
jedes Phänomen untersuchte – z. B. die Orgianistik, die sich
durch die Einführung der Einheit Org herausgebildet hätte (im
Falle von Nekrophilie wäre es die Einheit Morg) und fein
unterschied zwischen dem Brünstling, Lüstling und
Wüstling oder zwischen dem Rassigen und Rossigen, alles
klassifizierte und sich über nichts wunderte.
    Die Wissenschaft hatte übrigens eine Menge
stolzer Erfolge vorzuweisen. So eilte in diesem Jahrhundert der
traditionellen Ingenieurkunst die Gengenieurkunst zu Hilfe.
    Zuerst schuf sie ungewöhnliche Hybriden (z. B.
den Damolypen aus Dame und Polypen), dann nahm sie sich die Semeniden
selbst vor. Das Angenehme ist des Bösen Anfang – es dauerte
nicht lange, und die Körperfreiheit brach aus, denn in den
Gengenieurbüros konnte man sich Körper von beliebiger Gestalt
und Funktion bestellen. Manche Chronisten gliedern die allgemeine
Geschichte der Semenia entsprechend dem Obengesagten in die Ära
der idealen Kriege, in der man sich um der Ideale willen
bekämpfte, sowie die Ära der somatischen Kriege, in der man
sich um des passenden Körperstandards willen bekämpfte. Die
Lehren des Marquis trugen nach wie vor Früchte. Die neuste
Kosmogonie behauptete, daß man andere kosmische Zivilisationen
bislang infolge der Tyrannei prüder Vorstellungen nicht bemerkt
habe. Man meinte nämlich, solche Zivilisationen würden sich
mit dem Melken von Sonnen befassen und Sterne mit der Sparsamkeit von
Krämern konsumieren. Wie dumm! In der Natur des Urmenschen liegt
es, nicht in den Sternen zu stöbern,

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