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Die Revolte des Koerpers

Die Revolte des Koerpers

Titel: Die Revolte des Koerpers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Miller
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aber nicht mit seinen frühen Ängsten und seinem Leiden an den Eltern. Das blieb ein Tabu. Immerhin hat er schließlich den später berühmt gewordenen Brief an den Vater geschrieben, aber er sandte ihn nicht ihm zu, sondern der Mutter, mit der Bitte, ihn dem Vater auszuhändigen. Er suchte in ihr den Wissenden Zeugen und hoffte, sie werde sein Leiden dank dieses Briefes endlich verstehen und sich ihm als Vermittlerin anbieten. Doch die Mutter hat den Brief zurückgehalten und auch nie versucht, mit ihrem Sohn über dessen Inhalt zu sprechen. Ohne die Unterstützung eines Wissenden Zeugen war Kafka aber nicht in der Lage, sich mit seinem Vater zu konfrontieren. Die Furcht vor der drohenden Strafe war viel zu groß. Denken wir nur an die Erzählung Das Urteil, die diese Furcht beschreibt. Leider hatte Kafka niemanden, der ihn hätte unterstützen können, diesen Brief trotz seiner Angst abzuschicken. Vielleicht wäre das seine Rettung gewesen. Allein konnte er diesen Schritt nicht wagen, erkrankte statt dessen an Tuberkulose und starb bereits mit Anfang vierzig.
     
    Ähnliches ist bei Nietzsche zu beobachten, dessen Tragik ich in Der gemiedene Schlüssel undin Abbruch der Schweigemauer geschildert habe. Nietzsches großartiges Werk verstehe ich als einen Schrei nach Befreiung von der Lüge, der Ausbeutung, der Heuchelei und der eigenen Anpassung, aber niemand, er selbst am wenigsten, konnte sehen, wie sehr er schon als Kind darunter gelitten hatte. SeinKörper jedoch spürte diese Last pausenlos. Schon als kleiner Junge hatte er mit Rheuma zu kämpfen, das, wie seine starken Kopfschmerzen, zweifellos auf das Zurückhalten der starken Emotionen zurückzuführen war. Er litt auch an unzähligen anderen Erkrankungen, angeblich bis zu hundert während eines Schuljahres. Daß es das Leiden an der verlogenen Moral war, die zu seinem Alltag gehörte, konnte niemand merken, da doch alle die gleiche Luft atmeten wie er. Aber sein Körper hat die Lügen deutlicher als die anderen Menschen gespürt. Hätte jemand Nietzsche geholfen, das Wissen seines Körpers zuzulassen, hätte dieser nicht den »Verstand verlieren« müssen, um bis an sein Lebensende für seine eigene Wahrheit blind bleiben zu können.

I.2  Der Kampf um die Freiheit
in den Dramen und der ignorierte Schrei
des eigenen Körpers
– Friedrich von Schiller
     
    Es wird noch heute oft beteuert, daß geschlagene Kinder keinen Schaden davontragen, und viele Menschen meinen, ihr eigenes Leben sei ein Beweis für diese Behauptung. Das können sie glauben, solange der Zusammenhang zwischen ihren Krankheiten im Erwachsenenalter und den Schlägen in der Kindheit verschleiert wird. Am Beispiel von Friedrich von Schiller kann man aufzeigen, wie gut diese Verschleierung funktioniert, die im Laufe der Jahrhunderte immer wieder kritiklos übernommen wurde.
    Friedrich von Schiller verbrachte die ersten entscheidenden drei Jahre mit seiner liebevollen Mutter allein und konntebei ihr sein Wesen und seine ungewöhnliche Begabung entwickeln. Erst in seinem vierten Lebensjahr kam sein despotischer Vater aus dem langen Krieg zurück. Er wird von Schillers Biographen Friedrich Burschell als ein strenger, ungeduldiger, zum Jähzorn neigender Mann »mit einem beschränkten Eigensinn« beschrieben. Er hatte eine Vorstellung von Erziehung, die darauf zielte, die spontanen, kreativen Äußerungen seines lebensfreudigen Kindes zu unterbinden. Trotzdem zeigte Schiller hohe Leistungen in der Schule, er verdankte sie seiner Intelligenz und Authentizität, die sich in den ersten Jahren in der affektiven Sicherheit bei seiner Mutter entwickeln konnten. Doch mit dreizehn Jahren trat der Junge in dieMilitär-Akademie ein und litt unsäglich unter dem Drill dieses Regimes. Er wird wie später der junge Nietzsche von zahlreichen Krankheiten überfallen, kann sich kaum konzentrieren, liegt manchmal wochenlang im Krankenzimmer, und schließlich gehört er zu den schlechtesten Schülern. Die verminderten Leistungen erklärte man sich mit seinen Krankheiten; offenbar kam niemand auf die Idee, daß die unmenschliche, absurde Disziplin im Internat, wo er acht Jahre bleiben mußte, seinen Körper und seine seelischen Energien total erschöpfte. Er fand für seine Not keine andere Sprache als die Krankheiten, die stumme, über Jahrhunderte hinaus von niemandem verstandene Sprache des Körpers.
    Friedrich Burschell schreibt folgendes über diese Schule:
     
    »Hier entlud sich das überströmende Pathos

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