Die Riesin Arachna
geradezu riesig war. Ein starrer Blick aus runden Telleraugen traf den Tiger, dann setzten sich Kopf und Hals ganz sacht auf Achr und das Mädchen zu in Bewegung. Kurz darauf hatte der Kopf, auf dem Wasser dahingleitend, schon die Hälfte des Weges zum Ufer zurückgelegt, während der Hals noch immer kein Ende fand. Doch die beiden hatten auch kein Interesse daran, herauszufinden, wie lang er wirklich war. Sie rannten davon, möglichst weit vom Fluß fort.
Das Mädchen Ah wagte nicht einmal, nach hinten zu schauen; sie fürchtete, der Kopf des Ungeheuers könnte sie jeden Augenblick im Genick packen. Ihr war, als spürte sie schon seinen Atem im Nacken.
Der Atemhauch war auch keine Einbildung, nur stammte er glücklicherweise nicht von Glua, sondern von Ahs Spielgefährten Achr. Der Tiger, der natürlich viel schneller laufen konnte als das Mädchen, hielt sich absichtlich hinter ihr, um sie zu beschützen, falls der Schlangenkopf allzu neugierig werden sollte. Der aber dachte anscheinend gar nicht daran, sie zu verfolgen. Als Achr das erkannte, lief er um das Mädchen herum und stellte sich ihr in den Weg.
Die kleine Ah jedoch rannte so schnell, daß sie gegen den Tiger prallte und hinfiel.
»Was kommst du mir denn in die Quere?!« schimpfte sie ärgerlich, war aber sofort wieder auf den Beinen, strich das Kleid glatt und betrachtete den Kratzer an der Hand, den sie sich bei dem Sturz zugezogen hatte. »Willst du vielleicht, daß mich die Glua zu fassen kriegt?«
Achr leckte ihr schuldbewußt das Knie, das gleichfalls ein wenig aufgeschlagen war.
»Ich wollte dir nur klarmachen, daß uns niemand auf den Fersen ist«, murmelte er verlegen.
»Was denn, du kannst sprechen?!« Das Mädchen schlug vor Verwunderung die Hände zusammen. »Wieso hast du das nicht schon früher verraten?«
»Es gab keinen Grund dafür«, erwiderte Achr bescheiden. »Aber du brauchst nicht erstaunt zu sein. Ich komme schließlich aus dem Zauberland, und dort können alle sprechen: Menschen, Tiere und Vögel. Sogar der Weise Scheuch und der Eiserne Holzfäller.«
Ah beugte sich zu Achr hinunter, packte ihn bei seinen runden Backen und drückte ihm einen begeisterten Schmatz direkt auf die Nasenspitze.
Verwirrt, zugleich aber auch zufrieden, schüttelte der Tiger den Kopf und die Hände des Mädchens ab, wobei er ihr mit seiner rauhen Zunge flüchtig und wie unabsichtlich über die Wange strich.
Ein so freundliches Verhalten gereichte einem einstmals gefürchteten Räuber und Anführer eines ganzen Rudels von Säbelzahntigern nun gewiß nicht zur Ehre. Achr baute insgeheim darauf, daß ihn niemand sah und keiner im Zauberland je etwas davon erfuhr. Andererseits war er aber liebebedürftig wie alle Katzen, selbst wenn er seinen Kopf für sich hatte!
Das Mädchen Ah dagegen, noch immer verblüfft und aufs höchste beglückt, daß sie jemanden hatte, mit dem sie nicht nur spielen, sondern sich auch unterhalten konnte, plapperte munter drauflos. Sie erzählte dem Tiger, daß die Bewohner im Uidenland schon seit Urzeiten von der Existenz der langhälsigen Glua wüßten. Sie war, soweit man zurückdenken konnte, in dem Dunklen Fluß zu Hause, verschwand zwar manchmal für einige Zeit, tauchte dann aber urplötzlich wieder auf. Man munkelte sogar, die zänkische Alte sei damals nicht freiwillig davongelaufen, sondern von der geheimnisvollen Glua entführt worden.
Der Säbelzahntiger seinerseits erinnerte sich an eine Geschichte, die von seinen Vorfahren überliefert war. Danach war eines Tages eine Riesin namens Arachna im Zauberland aufgetaucht, von der niemand wußte, woher sie kam. Wegen ihrer Boshaftigkeit und ihrer Greueltaten hatte der Große Zauberer Hurrikap sie in einen mehrere tausend Jahre währenden Schlaf versenkt. Nach dieser Zeit aber war sie wieder erwacht und hatte aus Rache einen dichten Nebel über das ganze Zauberland gebreitet. Die Bewohner nannten ihn den Gelben Nebel. Sie wären fast an ihm zugrunde gegangen.
Achr deutete auch an, diese Riesin und Ahs zänkische Urahnin könnten ein und dieselbe Person sein, das jedoch wollte das Mädchen nicht glauben.
Während der Tiger von seiner Heimat erzählte, dem fernen Zauberland, spürte Ah sein Heimweh. Und obwohl sie ihren neuen Spielgefährten gewaltig vermissen würde, beschloß sie, ihm bei seiner Rückkehr zu helfen.
Eine gewisse Rolle spielte dabei wohl auch der unbestimmte Wunsch, selber mal einen Blick auf dieses Oberirdische Reich zu werfen. Auf jene Welt
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