Die Rose des Propheten 5 - Das Buch der Nomaden
Drohungen im Berginneren; sein Zorn erschütterte den Boden, auf dem sie stand. Sie zögerte…
Bei Mathews Leben!
Mit einem dumpfen, hohlen Dröhnen, das sich wie kaltes Eisen ins Herz des Engels bohrte, schlossen sich die riesigen Tore.
Im Inneren des Berges vernahm Kaug, wie die großen Tore zuschlugen, dachte sich aber nichts dabei… bis plötzlich alles um ihn herum in vollständige Dunkelheit getaucht war.
Kaltes Eisen.
Die Hände aufs Herz gepreßt, begann Asrial plötzlich zu begreifen.
»Ach, Pukah, nein!« jammerte sie.
Der Engel lief zu den Toren zurück, hämmerte heftig mit den Fäusten dagegen, erhielt jedoch keine Antwort. Immer und immer wieder rief Asrial in allen Sprachen, die sie kannte: »Es ist Akhrans Wille!« – jenen Befehl, mit dem sie Pukah die Tore hatte öffnen hören, doch es rührte sich nichts.
»Es ist Akhrans Wille!« sagte sie zum letztenmal, doch jetzt war es schon ein Wispern, fast ein Gebet.
In hilflosem Entsetzen sah der Engel mit an, wie die goldenen Tore zu verblassen begannen, das Licht auf den funkelnden Edelsteinen ermattete und dunkler wurde.
Der Eingang verschwand, und Asrial stand nunmehr allein auf dem kalten, öden Hang.
5
Pukah saß in einer winzigen Höhle – im Inneren des Bergs, den man Suls Fluch nannte. Auf mehrere Seidenkissen gelehnt, lauschte der junge Dschinn dem beruhigenden Geräusch des Wassers – ein Geräusch, das ab und an von den heftigen Rufen und dem Gebrüll des eingeschlossenen Ifrit unterbrochen wurde.
»Das einzige, was mir dabei leid tut, mein Freund«, sagte Pukah zu seinem Lieblingsbegleiter – sich selbst, »ist, daß wir den Ausdruck auf Kaugs häßlichem Gesicht verpaßt haben, als er entdeckte, daß der Berg aus Eisen besteht. Das wäre sämtliche Rubine in der Schärpe des Sultans wert gewesen, jene Edelsteine, die einst von Saad, dem berüchtigten Anhänger des Benario, gestohlen wurden. Habe ich dir diese Geschichte eigentlich schon einmal erzählt?«
An diesem Punkt stieß Pukahs Alter ego ein einziges Seufzen aus, denn es hatte die Geschichte schon zahllose Male gehört und kannte sie ebensogut wie der Erzähler. Es wußte auch, daß es ihm bestimmt war, sich diese Geschichte noch viele, viele weitere Male anzuhören. Doch der andere Pukah erwiderte nach diesem winzigen Seufzer gefaßt und tapfer, daß er die Geschichte von Saad und der Schärpe des Sultans noch nie gehört hatte.
»Dann will ich sie dir erzählen«, sagte Pukah hocherfreut. Er begann mit dieser haarsträubenden Geschichte und war zu der Stelle gekommen, wo der Dieb, um der Festnahme durch die Wachen des Sultans zu entgehen, einhundertvierundsiebzig Rubine herunterschluckt, als ein besonders heftiger Schrei des Ifrits den Berg erschütterte und Pukah unterbrach. Der junge Dschinn runzelte irritiert die Stirn und richtete die Wasserpfeife wieder auf, die von dem Beben umgestürzt war.
»Wie lange, glaubst du, wird es wohl dauern, bis Kaug uns endlich findet?« fragte Pukah sich in einem etwas sorgenvollen Ton.
»Oh, mehrere Jahrhunderte, möchte ich meinen«, bemerkte Pukah zuversichtlich.
»Das glaube ich auch«, erklärte Pukah beruhigt.
Ein gewaltiges Gebrüll ließ das Geschirr klappern und die Holzschalen über den Boden tanzen.
»Und bis er uns schließlich findet«, fuhr Pukah fort, »bin ich mir sicher, daß ich, da ich ja bei weitem der Klügere von uns beiden bin, eine Möglichkeit entdeckt haben werde, um aus dieser Eisenfalle herauszukommen. Und dann werde ich mit meinem Engel wiedervereint sein, und Hazrat Akhran wird mich mit dem wunderbarsten aller Paläste belohnen. Der Palast wird tausend Zimmer haben. Ja, tausend Zimmer.« Pukah lehnte sich in die Kissen zurück und ließ den Rauch träge von seinen Lippen kräuseln, während er lächelte und die Augen schloß. »Ich glaube, ich werde gleich damit beginnen, seinen Bau zu planen…«
Das Alter ego seufzte erleichtert und legte sich schlafen.
Über dem Dschinn, unter ihm und um ihn herum, rumpelte und knirschte der Berg namens Suls Fluch vom Wüten des Ifrits. Die wenigen unverdrossenen Nomadenstämme der Großen Steppe, die am Fuß des Bergs ihre Langhaarziegen züchteten, flohen mit ihren Herden, weil sie fürchteten, daß der Berg bald weit aufbrechen würde.
Aber der Berg brach nicht auseinander. Kaug hatte die Macht eingebüßt, irgend etwas anderes zu tun, als zu wüten und zu toben.
Von dieser Zeit an wurde es zu einem Witz unter den Göttern, den Berg als Kaugs Fluch
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