0625 - Die Schrumpfkopf-Königin
Es war wie immer.
Die gleiche Stille, das gleiche Licht, der Geruch von Öl, Räucherstäbchen und Bohnerwachs. Die Stäbchen steckten in einem Holzkranz. Aus ihm ragten sie wie schwarze, dünne Finger hervor.
Wie gesagt, es war wie immer, und doch empfand Pete Sagari etwas anderes. Er konnte den Grund nicht nennen, ihn überkam nur eine gewisse Ahnung, die sich auch nicht abschütteln ließ.
Dieser Raum beherbergte noch einen zweiten, unsichtbaren Gast – den Tod!
Ein Frösteln rann über Sagaris Rücken. Er spürte genau, wie sich sein Magen zusammenzog, im Mund breitete sich ein schlechter Geschmack aus, was nicht allein am Geruch lag. Bevor er sprach, mußte er sich räuspern.
»Mr. Hatiyama?« rief er halblaut, als hätte er Furcht davor, die Stille zu zerstören.
Zunächst geschah nichts. Nach einigen Sekunden vernahm er die schlurfenden Geräusche der Schritte irgendwo im Hintergrund.
Dann wurde eine Tür aufgestoßen, die im Halbdunkel links von der Theke kaum zu sehen war.
Die Tür knarrte und schleifte gleichzeitig über den Boden. Sagari atmete auf, als er die kleine Gestalt sah. Beruhigt war er trotzdem nicht, denn das Gefühl der Bedrohung wollte auch jetzt nicht schwinden.
Die Schritte blieben, dazwischen erklang ein heftiges Atmen, als wäre der Ankömmling zu schnell gelaufen.
Hatiyama konnte kaum über den Rand der Theke hinwegschauen.
Zwischen zahlreichen Waren wirkte er wie ein Fremdkörper. Hervor stach er aus seinen Gläsern, Büchsen, Dosen und Flaschen. Er führte einen besonderen Laden. Hier bekamen die Japaner das, was sie auch in ihrer Heimat hätten kaufen können.
Gewürze, Tee, Kerzen, Trockenfleisch und sogar Geishaschminke hatte Hatiyama vorrätig.
Er schaute seinen Kunden an. Das Gesicht wirkte wie ein alter Apfel, so verdorrt war die Haut. »Ich grüße Sie, Mr. Sagari.«
»Danke. Haben Sie meinen Tee?«
»Sicher, aber er ist noch nicht fertig. Ich war dabei, die Mischung zusammenzustellen. Es hat etwas länger gedauert, man wird nicht mehr jünger.«
Hatiyama hatte mit schwacher Stimme gesprochen, und Sagari wunderte sich darüber. »Geht es Ihnen nicht gut?«
Der alte Mann hob seinen Kopf. Dünn zuckte das Lächeln um seine Lippen. »Weshalb sollte es mir nicht gutgehen?«
»Ich habe das Gefühl.«
Auch heute trug Hatiyama einen senffarbenen Kittel. An ihm wischte er seine Hände ab. »Manchmal sollten wir Menschen auf die Warnungen anderer Reiche achten.«
Sagari gefiel diese orakelhafte Antwort nicht. Er konnte damit kaum etwas anfangen. »Wie… wie meinen Sie das?«
Der Alte atmete tief ein. »Es ist etwas gekommen, Mr. Sagari. Etwas sehr Gefährliches.«
»Wo?«
Hatiyama winkte ab. »Keine Sorge, ich werde Ihnen die Mischung zubereiten. Gedulden Sie sich einen Moment.« Er verbeugte sich knapp und verschwand wieder.
Pete Sagari blieb zurück und fühlte sich immer weniger wohl.
Wenn er sich umdrehte, konnte er durch das schmale Schaufenster auf die Straße schauen.
Dort lief der Verkehr normal. Auch auf den Gehsteigen zeigte sich nichts Besonderes. Niemand hatte Interesse daran, einen Blick durch das Fenster zu werfen. Die meisten Menschen gingen an dem Geschäft vorbei, ohne es richtig zu bemerken.
Sagaris Mißtrauen war nicht verschwunden. Seit Jahren schon kam er in diesen Laden, um sich die besondere Teemischung abzuholen. Sagari war Halbjapaner, die Mutter Engländerin, der Vater stammte aus Osaka. Sich selbst betrachtete er als Zwitter. Keine der Eigenschaften überwog. Weder die asiatischen noch die europäischen. Sie hielten sich gewissermaßen die Waage.
Sagari arbeitete in der Computerbranche. Er gehörte zum mittleren Management seiner Firma, war im Vertrieb tätig und mußte auch öfter ins Ausland reisen. So war ihm die Insel Japan nicht fremd.
Er hatte viel darüber gelesen, kannte sich in der Vergangenheit aus und hatte sich auch mit anderen Dingen beschäftigt, wie Mystik und Mythologie.
Er wußte, daß es zahlreiche gefährliche Dämonen und dämonische Wesen gab, er kannte gewisse Zusammenhänge und hatte manchmal Furcht davor, mit ihnen konfrontiert zu werden.
Heute war so ein Tag.
Viele Menschen fühlten sich bei dem naßkalten Wetter nicht wohl.
Die Temperaturen lagen dicht an der Frostgrenze; es war windig, und der Regen war kalt. Das schlug vielen auf den Kreislauf, aber das war es nicht, was Sagari meinte.
Seine Unruhe besaß einen anderen Grund, und der mußte mit diesem Laden zusammenhängen.
Hatiyama blieb ziemlich
Weitere Kostenlose Bücher