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Die rote Halle

Die rote Halle

Titel: Die rote Halle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karla Schmidt
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bekam.
    Aber sie sah keinen Weg dorthin.
    Und ohnehin war es jetzt beinahe so weit. Jetzt holte er den
Rucksack aus der Grube.
    Ã–ffnete ihn.
    Er las den Zettel.
    Er las, und Janina sah seine Angst, sah das Weiße in seinen Augen,
die hektischen Blicke, das schnelle Heben und Senken seiner Brust.
    Und wenn er es zu früh begriff? Er durfte es nicht begreifen, bevor
es geschah. Noch etwas, das schiefgehen konnte.
    Dave nickte, legte die Taschenlampe weg, griff nach dem Rucksack,
steckte das Gesicht hinein und hustete trocken. Vielleicht war es auch ein
Lachen. Sein großer, wunderschöner Kopf passte kaum in den Rucksack hinein.
    Jetzt sah Janina sein Gesicht zum letzten Mal.
    Sie wollte wegsehen, doch sie tat es nicht, sie empfand die Pflicht,
diesen Ausdruck und seine Züge in sich aufzunehmen und für immer zu bewahren.
    Denn jetzt war das Gesicht verschwunden.
    Dave band den Rucksack zu, mit einer ordentlichen Schleife mitten
unter dem Kinn, dann schmiegte er den Rücken aufrecht an den Grabstein und
griff hinten herum. Es funktionierte, es war genau, wie sie es sich gedacht
hatte: Sein Hals reichte über die obere Kante des Grabsteins hinweg.
    Jetzt war es Zeit.
    Simon wusste nicht, ob er sich noch einmal aufrichten konnte.
Auf der Seite liegend schob er sich erneut an die Bretterwand heran und fühlte
mit einem Mal frische Luft. Deutlich kühler als der zähe Gestank nach Urin und
Blut im Schuppen.
    Er folgte dem Geruch nach Sommer, Regen und Erde, schlängelte sich
in diesen Kanal aus Duft, und plötzlich lag sein Kopf im Freien, unter dem
Himmel, an dem er helle Wolken sah, einen einsamen Satelliten, ein Stückchen
Mond.
    Die Bretterwand des Schuppens sah grau aus in der Nacht, so wie die
Büsche ringsherum, und die Bäume über Simon waren schwarz und schienen auf ihn
herabzublicken wie Ärzte und Schwestern, die einem Patienten beim Aufwachen
zusahen.
    Ein einziges Brett hatte sich aus der Schuppenwand gelöst. Ein Brett
von der Breite seines Kopfes. Es war nach außen gefallen, hing halb aufrecht in
einem Busch direkt neben ihm. Sein Kopf hatte durch die Lücke gepasst. Aber sie
war zu schmal für seine Schultern.
    Nein! Wenn der Kopf passte, passten auch die Schultern. Mussten
passen. Simon versuchte, sich auf die Seite zu rollen und sich selbst so flach
wie ein Brett zu machen, sich mit den Füßen am Boden abzustoßen.
    Sein T-Shirt riss, die Haut an den Schulterblättern riss, aber es
ging, Zentimeter für Zentimeter ging es voran. Simon hielt immer wieder inne,
um sich Zeit zu geben, in seinen Körper zurückzukehren und zu lauschen. In der
Nähe schlug eine Kirchturmuhr zwei Uhr. Es war immer noch Nacht, und er war
immer noch allein.
    Er zog und schob, noch einmal und noch einmal, und endlich war er
frei, zog die Beine nach, lag mit zerfetztem Hemd, heruntergelassener Hose und
blutend unter dem Nachthimmel. Er brauchte einen Moment, um zu Atem zu kommen,
und dann hätte er beinahe laut um Hilfe gerufen, nach seiner Mutter geschrien.
Aber er konnte nicht sicher sein, dass DeeDee nicht in der Nähe war. Simon blieb
stumm, stemmte die Füße von außen gegen die Bretterwand und stieß sich ab.
    Wenn er bis unter das schützende Blätterdach der Büsche gelangte,
würde ihm das Zeit verschaffen. Dann könnte er sich voranarbeiten, immer
weiter, still, bis er auf Menschen traf. Er hoffte, dass das Waldstückchen, in
dem er sich befand, nicht zu groß war. Von wo hatte er die Kirchturmuhr gehört?
Dort musste er hin. Nach rechts.
    Und dann hörte er den Schlüsselbund. Das Vorhängeschloss. Sie war
zurück. Simon erstarrte.
    Janinas Beine liefen ohne ihr Zutun, ihre linke Hand griff
ohne ihr Zutun in die Gesäßtasche und holte die Handschellen hervor, ihre Haut
berührte seine Haut, als sie sie ihm anlegte, aber die magische Anziehung war
fort, keine Auflösung ihrer Grenzen mehr. Sie war so sicher in sich eingeschlossen,
nichts würde diesen Panzer aufbrechen können.
    Als die Handschellen saßen, stand sie eine Weile da, lauschte ihrem
und seinem Atem, beide unregelmäßig und zu schnell. Dann wieder ein Schluchzen.
Seines? Ihr eigenes? Janina wusste es nicht.
    Â»Simon, bist du das? Geht es dir gut?«
    Janina hörte sich keuchen, und ein paar flache, panische Atemzüge
später fühlte sie, wie ihre Hand den Rucksack packte, fest, und seinen Kopf
zurückriss. Sein Schädel

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