Die Sache mit dem Ich
150 Euro von ihrer Rente gestrichen hat. Es sind Menschen wie Rüdiger aus Gießen, der eine Zeit lang als Promotion-Manager großen Erfolg hatte, dann abgestürzt ist, von Hartz IV leben musste und nun einen Halbtagsjob im Fraktionsbüro hat. Klaus Dieter, ein ehemaliger Mathe-Lehrer aus Sachsen-Anhalt, hat so sehr an die DDR geglaubt, dass er nach der Wende nicht mehr wusste, was er seinen Schülern erzählen sollte, und verstummte, bis er in der Arbeitslosigkeit verschwand. Und noch drei- bis vierhundert andere mit ähnlichen Biografien. Nicht wenige wünschen sich die DDR zurück und sagen das auch genau so, weil: Ein Scheiß-Zuhause (früher) ist immer noch besser als gar kein Zuhause (Kapitalismus).
»Hat die Reisefreiheit nichts gebracht, Lotti?«
»Ach, wir werden doch überall nur ausgenommen: 3 Euro 50 für’n Cappuccino!«
»Hat Merkel nichts gebracht, Klaus Dieter?«
»Erst viel Hoffnung, dann noch mehr Enttäuschung.«
Es sind also vor allem Verletzte gekommen, die hoffen, dass Die Linke mit ihren Versprechen, sich für Mindestlöhne, Arbeitsplätze und Ost-West-Rentenausgleich einzusetzen, irgendetwas für sie tun kann. Hilfe spenden, Heilung.
Zusammen mit ihnen lasse ich mich am nächsten Morgen von einer Försterin, die ein bisschen so aussieht wie Patti Smith, durch den Biosphärenwald führen. Sie zeigt uns einen Fuchsbau.
»Manchmal teilen sich Fuchs und Dachs einen Bau«, erklärt sie.
»Wie CDU und FDP !«, sagt jemand.
»Wie Rot-Rot in Brandenburg!«, ein anderer.
»Wie Rot-Schwarz in NRW !«, der schlauste von allen.
Am Nachmittag geht’s im sehr kleinen Festzelt ein bisschen um Frauenpolitik und Landesfinanzen, zwei Minister aus Brandenburg sind da, aber so richtig kickt es nicht. Etwas zu leger und schludrig lehnen die Redner am Tisch und wiederholen das, was sie immer sagen: Läuft doch gut für uns, steter Tropfen höhlt denStein, demokratischer Sozialismus, gerechtere Welt etc. – aber zur Erklärung, wie die Gegensatzpaare Demokratie und Sozialismus denn zusammengehen sollen, raffen sie sich nicht auf. Die Zuhörer nicken das ab. Sie freuen sich, dass jemand da ist, dass sie alle hier sind, dass eine Heimeligkeit entsteht weitab von der Welt. Es ist ein bisschen wie die singende Jugendgruppe vom Vorabend: Solange die Grundakkorde angeschlagen werden, ist noch Hoffnung.
Da ist es leicht, sich ablenken zu lassen: Die schönste Frau auf dem Gelände heißt Milena und ist eine Halbitalienerin/Halbtunesierin, die sich an einem Infostand für die Unabhängigkeit der von Marokko annektierten Westsahara einsetzt. Hätte man jetzt viel größere Lust, hinzufahren und Revolution zu machen. Bestangezogener Mann (Barbourjacke, Hemd, vernünftige Schuhe) ist Klaus Sühl, Die-Linke-Stadtrat von Dresden. Zünde mir mit meinem neugekauften Die-Linke-Feuerzeug (»Wir haben Feuer« steht drauf) eine geschnorrte Polenzigarette an. In diesem Moment beginnt es zu regnen.
Feststellung No. 4: Wenn’s regnet, klappt kurz gar nichts bei den Linken. Dann geht das Feuer aus. Auf Schlechtwetter sind sie ähnlich ungenügend vorbereitet wie auf den Zusammenbruch der UDSSR . Die Tanzshow, die sie im Zelt hinlegen, untertrifft das schlimmste, abgenudeltste Dorffest. Niemand tut was, um die Stimmung zu retten, trotz »Beat it« von Michael Jackson und »Everybody needs somebody« von den Blues Brothers. Kein Bein zuckt, keine Hüfte wackelt. Notiz No. 5: Nein, Die Linke hat keinen Rhythmus.
Viel lustiger ist’s draußen am See: Drei halbnackte Punks aus Thüringen springen im Wasser herum, sie sind erst bei der letzten 1.-Mai-Veranstaltung in die Partei eingetreten, von der Straße weg rekrutiert sozusagen. Die Politik interessiert sie nur dann, »wenn direkt was passiert, also Demo oder so«. Einer von ihnen, André, saß wegen Kleptomanie eine Zeit lang in der Psychiatrie, hat immer Bier, Tabak, Parfüms geklaut, wie ein Irrer. Kurz wirkt Die Linke ganz lebendig. Wenn schon Straftäter in der Partei, dann doch bitte junge gesamtdeutsche Diebe statt alter Stasi-Recken!
Oder ein Typ wie Steffen Bockhahn. Ich traf ihn am Vortag vor der Disco von Ecco Weber, jetzt sitzt er im »Café am Strand« vor mir, während eine unwirsche Kellnerin versucht, die alte Stuhlordnung wiederherzustellen. Sie ist, man glaubt es kaum, wirklich sauer, dass genau dieselbe Stuhlart von einem Tisch zum anderen gewandert ist. Ganz kurz extremes Osthass-Gefühl, obwohl ich hier gar nicht aufgewachsen bin.
Bockhahn kommt aus
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