Die Sache mit dem Ich
auf der Straße gefunden hat, eine Art Wesen gebaut. Es hat ein Rückgrat aus Holz und Stahl, kunstvoll verzwirbelte Alu-Rollos und Lampen überall. Es scheint aus sich selbst herauszuwachsen. Boschan hat dem Schrott etwas Organisches gegeben. Als wäre er immer so gewesen.
Joschi bellt.
»Ist’s ein Vogel, ist’s ein Flugzeug, ist es Superman?«, frage ich.
»Am ehesten ein Vogel«, sagt sie. »Aber wenn man ihn vertikal aufstellt, wird wieder was anderes daraus.«
»Wie heißt es?«
»Oxymoron.«
So sind sie, die Künstler.
Yasmin Müller, auch auf der Liste, treffe ich auf der Dachterrasse des Karstadt-Hauses am Hermann-Platz. Hier geh ich selbst seit Jahren hin. In letzter Zeit aber ist der Laden immer schlechter geworden. Die Ära der Kaufhäuser geht zu Ende.
Kurzer, heftiger Moment der Wehmut. Erinnerung an Nachmittage mit den Eltern und stundenlange Spielzeugabteilungs-Aufenthalte.
Müller trägt einen gelbschwarz karierten Schal, eine Art Trenchcoat, goldlackierte Fingernägel. All das plus eine Cola in der Hand. Nicht schlecht.
»Warum hier?«
»Weil es ein Ort des Trashs ist, der sich als exklusiv verkauft. Weil er vorgibt, etwas zu sein, was er nicht ist«, sagt sie.
»Eine Kopie?«
»Ja.«
Müller legt mir Bilder vor, von Logos, Zeichen, Schriftzügen. Auch bei ihr geht’s um Kopien. Originalität entsteht durch Nachahmung, findet sie. Einmal stellte sie ein Paar weiße Turnschuhe aus, das sie in einem türkischen Modegeschäft gefunden hatte. »Super Mode« hießen die; ein No-Name-Produkt, das behauptet, es müsste eigentlich in der »Vogue« vorkommen. Eine Skulptur heißt »Marmorkuchen« und ist genau das: eine Marmorkuchenform in Marmor. Bei »Home Sweet Home«, einem pastellblau bemalten Fensterladen, der so wirkt, als sei er einem Hockney-Bild entsprungen, kommt zum zweiten Mal an diesem Tag Wehmut – aber wonach? Erinnerungen, die ich nie hatte? Erinnerungen aus Bildern? Kopien von Erinnerungen? Verlasse Müller verwirrt. Umarme unten auf der Straße meinen Hund und kaufe ein Eis, das erste des Jahres, Karamell.
Die Bar liegt am Kottbusser Damm, sie heißt »Cussler«. Früher befand sich ein Schuster darin, mein Schuster, ein guter Mann aus Afrika. Heute, an einem Dienstagabend: alles voller Künstler. Und da heißt es immer, Schuhe sind für die Ewigkeit.
Diese Aurelia hatte mich dorthin beordert: »Geh da mal hin, da sind auch welche von unseren Leuten.«
Einer heißt Ralf Dereich, einer Dominik Steiner. Sie machen die Bar. Beide malen abstrakt. Dereich mit Flächen und Schlieren, Steiner groß und monochrom, wie Flaggen für Länder, die’s nicht gibt.
»Gin Tonic, bitte.«
»Kommt«, sagt Dominik. Er hat so einen Akzent.
»Österreicher?«
»Oberpfälzer!«
»Wie heißt dein Bild, das große blaue?«
»Leaving Green Sleeves.«
»Es ist aber doch blau.«
»Es ist aber ein Lied von Leonard Cohen.«
»Warum macht ihr diese Bar?«
»Aus Trotz. Weil so lange nichts passiert ist unter den Berliner Künstlern. Weil die alle immer nur rumhingen. Jetzt trinken sie wenigstens hier.«
Immer mehr Gestalten kommen rein. Boheme-Gefühl, bisschen Lower East Side New York. Eine Blonde tritt ein, in Schwarz, auch mit süddeutschem Akzent. Maike Gräf, sagt jemand. Die könne Wände hochklettern und Puccini singen, wenn sie gut drauf sei. Zu der kommen wir später noch.
Zweiter Gin Tonic.
Dereich steht vor mir, groß, bisschen Skepsis im Blick. Nicht sicher, ob er mich mag. Den Tag über hat er mit einem Bild gekämpft, sagt er.
»Rauschmaler?«
»Nö.«
»Worum geht’s, wenn du malst?«
»Ralf Dereich malt ein Bild – darum geht’s.«
»Bist du Vittorio Manalese?«
»Nein.«
Punkrockmusik. Diese Maike Gräf beginnt, die Wand auszuchecken. Dritter Gin Tonic. Klettert sie oder klettert sie nicht?
Worum geht’s, wenn man heute Künstler wird, was will man? Will man DER NEUE sein, oder DER ALTE ; will man aufbauen oder zerstören? Brauchst du eine Sucht, die du auslotest bis in die letzten Grenzen; dorthin, wo noch niemand war? Gibt’s das noch, Orte wo noch niemand war?
All diese Fragen stelle ich zum Frühstück Joschi, meinem treuen Gefährten.
Joschi schaut, Joschi guckt, Joschi bellt. Er weiß, es geht nur um die Tat, nicht das Wort, in der Kunst wie im Hundeleben, das auch die Kunst manchmal ist.
Guten Morgen! Einer mit Kopfschmerz und leichtem Wahn; diese Manalese-Sache beginnt, mich mitzunehmen.
Schwänze, Titten, Brüste, Riesenpenisse,
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