Die Sau und der Mörder
einen nach dem anderen. Hastig pappte ich meine Rechte aufs Herz und ließ meine Augen fanatisch glühen, wofür ich ein wohlwollendes Nicken erntete.
Als die Kollegen den Raum verließen und dabei strunzten, wie viele Frauen sie mit wie viel Promille in der letzten Nacht flachgelegt hatten, suchte ich das Gespräch mit Friedel Freud.
»Wie Sie sicherlich wissen, bin ich heute zum letzten Mal hier«, buckelte ich.
»Woher wollen Sie das wissen? Sie kennen Ihre Sozialprognose noch nicht«, musterte Schulz mich durchdringend. Sollte die ganze Heuchelei für die sprichwörtliche Katz gewesen sein?
»Wie lautet sie denn ?« , fragte ich ungewohnt kleinlaut. Auf meiner inneren Leinwand sah ich den siebzigjährigen Dieter Nannen im Rollstuhl durch den Stadtpark gurken und benutzte Kondome vom Boden klauben.
»Gut«, verzog sich Friedhelms Mund zu so was wie dem Anflug eines Lächelns. »Sie haben sich der Tat gestellt und Ihre Handlungsmechanismen analysiert. Da Sie Ihrem Vater verziehen haben, denke ich, dass Sie auf dem Weg der inneren Heilung sind. Ich glaube nicht, dass Sie erneut straffällig werden. Allerdings bitte ich Sie, Ihre Biographie und Lernerfahrungen in der Gruppe zu protokollieren und dem Amtsgericht zu meinen Händen einzureichen. Ihr Fall ist interessant. Legen Sie einfach das dar, was Sie uns in den Sitzungen erzählt haben. Chronologisch. Erst dann kann ich den Abschlussbericht erstellen .«
Wie bitte? Woher sollte ich noch wissen, was ich in den Therapiestunden zusammenimprovisiert hatte.
»Welchen Umfang sollen die Ausführungen haben ?«
»Sie sind ein intelligenter Mensch und haben in Ihrem Leben viel mitgemacht«, wölbten sich die buschigen Augenbrauen des Psychologen nachdenklich. »So um die fünfzig Seiten, würde ich sagen. Allein die Geschichte, wie Sie in der Notunterkunft für Obdachlose fast ermordet worden sind und diese seelische Krise mit Hilfe ihres israelischen Kung-Fu-Lehrers gemeistert haben, muss ausführlich dargestellt werden. Sie sind ein sehr komplexer Charakter, Herr Nannen. Faszinierend.«
Hätte ich den Ball doch lieber flachgehalten, verfluchte ich mein Geschwätz.
»Das täuscht. Ich bin nur ein einfacher Mann, der viel Pech im Leben hatte. Reicht nicht vielleicht die Hälfte? Schließlich muss ich auch noch arbeiten, um den hart erkämpften Platz in der Gesellschaft halten zu können«, feilschte ich wie auf dem Kreuzberger Basar.
Schulz rieb sich mit seiner schwitzigen Hand über die Halbglatze, die nun auch feucht glänzte.
»Sie haben recht«, überlegte er zu meinen Gunsten. »Der Weg der Resozialisierung ist ein gläserner Pfad über eine tiefe Schlucht. Bereits ein Windhauch kann zum tiefen Fall führen. Beschränken Sie die Ausarbeitung auf dreißig Seiten. Die müssen aber nächste Woche auf meinem Schreibtisch liegen .«
Er drückte meine Hand und blickte mir ernst in die Augen: »Bereits im Voraus alles Gute für Ihr weiteres Leben. Ich hoffe, Sie hier nie wiederzusehen .«
Da waren wir völlig einer Meinung. Ich bedankte mich für die Einsichten in mein Seelenleben und verabschiedete mich. Vier Stunden Plackerei und dreißig Seiten Lügenprosa, dann konnte ich dieses unangenehme Kapitel endgültig schließen.
Eine Handballhalbzeit später rollte mein Golf auf den Hof meines Kottens. Meine Schrottkiste brauchte diesmal den Abend nicht alleine zu verbringen, denn ein rostiger schwarzer Polo mit verdreckter Heckscheibe parkte vor dem Schweinestall. Als ich den Motor in den wohlverdienten Feierabend schickte, wurde die Fahrertür aufgerissen.
Ein hochgewachsener Mann, Anfang dreißig, dürrer als ein Taliban im Hungerstreik, mit halblangen schwarz gefärbten Locken, beugte sich ins Auto. Er trug einen Schottenrock, dazu ein buntgeflicktes Hemd. Auf dem Kopf thronte eine rote Zipfelmütze. Eine Tasche seines giftgrünen Mantels war halb abgerissen und offenbarte freien Blick auf ein schwarzes Seidentuch, auf dem verkrusteter Schnodder klebte. Guten Appetit. Die Silberkette mit einem Rosenanhänger komplettierte das dezente Erscheinungsbild, während sein Patschuliduft den Güllegestank vom Nachbarfeld übertünchte. Leider. Ich erlitt einen Anfall akuter Klaustrophobie.
»Bon jour, bon jour, ich bin hocherfreut, dem Meister endlich persönlich ins Antlitz blicken zu dürfen«, streckte er mir eine mit Fledermaus- und Drachenringen geschmückte Hand vor die Brust.
»Darf ich bitte aussteigen ?« , drängte ich ihn aus der Tür, wobei er stolperte,
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