Die Schale der Winde
noch am Leben gewesen wäre, hätte er den Wiedergeborenen Drachen in diesem Moment leicht töten können. Rand war sich nicht sicher, ob es ihm etwas ausgemacht hätte. Schließlich eröffnete er ein Wegetor und bildete zum Gleiten eine Plattform, eine geländerlose Scheibe, halb weiß und halb schwarz. Gleiten geschah langsamer als das Reisen. Er brauchte mindestens eine halbe Stunde, um Illian zu erreichen, und er brannte auf dem ganzen Weg immer wieder Liahs Namen in seinen Geist ein und strafte sich damit. Er wünschte, er könnte weinen. Er glaubte, die Fähigkeit verloren zu haben.
Im Königspalast warteten sie im Thronraum auf ihn, Bashere und Dashiva und die Asha'man. Es war genau der gleiche Raum, den er am anderen Ende des Platzes gesehen hatte, sogar bis zu den Stehlampen, den in die Marmorwände eingemeißelten Szenen und das lange weiße Podest. Genau der gleiche Raum, nur daß er in jeder Hinsicht ein wenig größer war und auf dem Podest anstatt neun Stühlen nur ein großer vergoldeter Thron mit Leoparden als Armlehnen und neun faustgroßen goldenen Bienen oben an der Rückenlehne stand. Rand setzte sich erschöpft auf die Stufen vor dem Podest.
»Also ist Sammael tot«, sagte Bashere und betrachtete ihn in seiner zerrissenen und staubigen Kleidung von Kopf bis Fuß.
»Er ist tot«, bestätigte Rand. Dashiva seufzte vor Erleichterung laut.
»Die Stadt gehört uns«, fuhr Bashere fort. »Oder Euch, sollte ich besser sagen.« Er lachte plötzlich. »Die Kämpfe haben nur zu rasch geendet, als die richtigen Leute erst einmal herausgefunden hatten, daß Ihr es wart.« Getrocknetes Blut bildete einen schwarzen Fleck auf einem zerrissenen Ärmel seiner Jacke. »Das Konzil hat gespannt auf Eure Rückkehr gewartet. Angstvoll, könnte man sogar sagen«, fügte er mit verzerrtem Grinsen hinzu.
Acht schwitzende Männer hatten am entgegengesetzten Ende des Thronraums gestanden, als Rand hereingekommen war. Sie trugen dunkle, an den Aufschlägen und Ärmeln goldoder silberbestickte Seidenjacken und Spitze an Hals und Handgelenken. Einige trugen einen Bart, der die Oberlippe freiließ, aber alle trugen eine breite Schärpe aus grüner Seide mit neun goldenen Bienen schräg über der Brust.
Sie traten auf Basheres Zeichen hin vor und verbeugten sich bei fast jedem dritten Schritt vor Rand, als trüge er die edelste Kleidung. Ein großer Mann schien der Anführer zu sein, ein Bursche mit rundlichem Gesicht mit einem jener Barte und einer natürlicher Würde, die durch Sorge beeinträchtigt schien. »Mein Lord Drache«, sagte er, während er sich erneut verbeugte und beide Hände auf sein Herz preßte.
»Verzeiht, aber Lord Brend war nirgends zu finden, und...«
»Er kann auch nicht zu finden sein«, sagte Rand tonlos.
Ein Muskel im Gesicht des Mannes zuckte bei Rands Tonfall, und er schluckte. »Sehr wohl, mein Lord Drache«, murmelte er. »Ich bin Lord Gregorin den Lushenos, mein Lord Drache. Ich spreche in Abwesenheit Lord Brends für das Konzil der Neun. Wir bieten Euch...« Neben ihm deutete jemand eindringlich auf einen kleineren, bartlosen Mann, der mit einem Kissen vortrat, auf dem sich ein grünes Seidentuch wölbte. »Wir bieten Euch Illian an.« Der kleinere Mann zog das Seidentuch fort und enthüllte ein schweres goldenes, zwei Zoll breites Diadem aus Lorbeerblättern. »Die Stadt gehört natürlich Euch«, fuhr Gregorin eifrig fort. »Wir haben allen Widerstand niedergeschlagen und bieten Euch nun den Thron von ganz Illian an.«
Rand betrachtete regungslos die Krone auf ihrem Kissen. Die Leute hatten gedacht, er wolle sich in Tear zum König ernennen, und sie hatten auch gefürchtet, er wolle es in Cairhien und Andor tun, aber niemand hatte ihm bisher eine Krone angeboten. »Warum? Gibt Mattin Stepaneos seinen Thron so bereitwillig auf?«
»König Mattin ist vor zwei Tagen verschwunden«, antwortete Gregorin. »Einige von uns fürchten... Wir fürchten, daß Lord Brend etwas damit zu tun haben könnte. Er hat...« Er hielte inne, weil er schlucken mußte. »Er hatte großen Einfluß auf den König, einige würden vielleicht sagen zuviel, aber er war in den letzten Monaten abgelenkt, und Mattin hatte sich zu behaupten begonnen.«
Streifen seines schmutzigen Jackenärmels und Stücke seines Hemdsärmels baumelten herab, als Rand die Hand nach der Lorbeerkrone ausstreckte. Der Drache, der sich um seinen Unterarm wand, glänzte im Lampenlicht genauso hell wie die goldene Krone. Er drehte sie in
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