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Die Schmerzmacherin.

Die Schmerzmacherin.

Titel: Die Schmerzmacherin. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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Relax. Das war das Zauberwort. Hazel hatte sie gemustert und gewusst, dass ihr das schwerfallen würde. Sie hatte das kühl gesagt. Bedauernd. Hazel hatte das Ideal schon erreicht. Hazel war mittelblond. Mittelgroß. Mitteldünn. Unauffällig. Dabei war Hazel hübsch. Sehr hübsch. Aber man konnte Hazel das nicht ansehen. Man konnte Hazel eigentlich überhaupt nicht sehen. Wahrnehmen. Wenn sie in der Reihe an der Essensausgabe stand. Wenn sie über den Platz zwischen dem Hostel und dem Essenspavillon ging. Es ging irgendjemand. Hazels Bewegungen waren ruhig und bestimmt, und ihr Blick richtete sich nach außen und ließ nichts in sie hinein. Wenn sie mit Hazel aß, schaute Hazel sie an, und sie wusste, dass Hazel sie durchschaute und alles von ihr wusste. Sie wusste von Hazel nur, dass es Hazel gab, weil sie mit Hazel und Ned und Bennie an Tisch 43 essen musste. 13.00 bis 13.30 Uhr. Und bei jeder Mahlzeit ein neues Detail zur Osama-bin-Laden-action.
    Sie schaute Hazel genau an. Sie musste nicken. Hazel konnte sich in alles verwandeln. In jede andere Person. Musste man dazu ohne Person sein. Sie wollte Hazel fragen. Aber die trank ihr Wasser schon im Stehen und stellte das Glas dann ab. »See you.« sagte sie und lief zum Ausgang des Speisesaals. Sie drehte sich an der Tür noch einmal zur Uhr an der Wand um und verglich die Zeit mit der Uhr an ihrem Handgelenk.
    Der Insasse strich um ihren Tisch. Er war jung. Orientalisch. Indien. Pakistan. Sie kannte sich da nicht aus. Hier wussten alle voneinander, woher jemand kam. Sie wurde als Schwedin geführt. Eine Wienerin. Eine Österreicherin. Da wusste keiner genau, was das bedeutete. Sie wurde dann als Deutsche behandelt. Das war ein Vorteil. Jeder dachte dann, sie käme von der Sicherheitsakademie in Lübeck, und wollte ihre Meinung zur Ausbildung hier in Nottingham hören. Natürlich wollte niemand wirklich etwas wissen. Das war in den Unterrichtsstunden gefragt worden. Da war es notwendig, genaue Auskunft zu geben. Sie sagte mittlerweile, dass sie kein Urteil abgeben könne. Sie wäre noch nicht lang genug hier. Zwei Wochen gäben keine Grundlage für Beurteilungen ab. Das schien das Richtige zu sein. Alle nickten und schauten an ihr vorbei. Sie konnte sich auch wieder erinnern. Das mit dem Schauen. Das machte jedes Mal Probleme. Niemand sah eine andere Person an. Dafür fühlten sich die meisten dann auch ungesehen, und deshalb gab es so viele Paare, die es in aller Öffentlichkeit. Die miteinander schmusten und einander ohne jede Zurückhaltung zwischen die Beine griffen. Die fühlten sich sicher vor jedem Blick. Sie war neidisch. Auf diese Ungeniertheit.
    Sie trank die Cola aus. Sie legte die Flasche neben den Teller. Sie faltete die winzige Papierserviette der Länge nach und legte sie rechts vom Teller. Das war zur Erinnerung. Das Mammerl hatte von jeher darauf bestanden, dass die unbenutzte Serviette rechts vom Teller lag und am Ende des Essens links locker gefaltet hingelegt wurde. Bei den Schottolas war es umgekehrt gewesen. »Kleinbürger.« hatte das Mammerl dazu geseufzt. Das hätte sie Hazel sagen sollen. Dass das low class luxuries waren. Da, wo sie herkam. Lowest middle class war das wahrscheinlich. Der Insasse zog das Tablett weg und stellte es auf den Servierwagen, den er herumschob.
    Sie stand auf. Sie nahm ihre Umhängetasche von der Sessellehne. Rundherum. Die anderen brachen auch alle auf. Sesselgeschiebe. Zurufe. Schritte. Tellerklappern. Die automatische Tür. Sicherheitskarte. Gleich in der Halle war der Geruch besser. Sie ging ins Freie. Sommerluft. Dunstig. Die Sonne hinter Wolken. Es konnte auch regnen. Sie ging zum Hauptgebäude. Von da musste sie zum Gebäude G. Infirmary. Der medical check. Sie hatte eine SMS bekommen. Man hatte einen Termin für sie einschieben können. Pünktlichkeit war angeordnet worden. Sie schaute auf ihr handy. Es war noch Zeit. Sie ging nach rechts. Die Gebäude ab D waren rechts vom Hauptgebäude. Sie waren in einem Bogen an der Straße angeordnet. Parknatur dazwischen. Die eigentlichen Gefängnisbauten hinter dem Essenspavillon. Die Mauer den Straßenbogen rechts entlang. Laufgänge über dem Gelände. Über das ganze Gelände führten Laufgänge auf Stelzen. Zwischen den Bäumen durch. Beobachtungstürme an der Mauer zum Gefängnistrakt. Hinter der Mauer. Keine Bäume oder Wiesen. Alles betoniert. CCTV überall. Überall Kameras. Jeder Zentimeter im Freien wurde aufgenommen. Hier. Auf der Campusseite. Es waren

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