Die Schmerzmacherin.
die breite Glasfront auf den Gefängniskomplex hinaus und war selber festgehalten. Sie holte tief Luft. In ihrem Bauch. Knapp über dem Nabel. Sie griff auf ihren Bauch. Tat so, als müsse sie den Gürtel ihrer Jeans zurechtziehen. Sie rieb sich den Bauch. Rieb über das Krabbeln im Bauch. Sie ließ die Arme wieder hängen. Das Krabbeln wurde wieder stärker. Sie musste gehen. Sie ging auf und ab. Sie ging vor der Tür auf und ab. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und ging. Die Umhängetasche schwer gegen die rechte Hüfte. Sie nahm die Tasche ab und stellte sie auf den Boden. Sie ging um die Tasche. Beim Gehen blieb die Unruhe gleich hoch. Beim Gehen konnte sie tiefer atmen. Sie konnte nicht an der Tür stehen und Atemübungen machen. Beim Gehen konnte sie die Atemübungen verstecken. Sie ließ den Kopf hängen. 1-2-3 einatmen. 1-2-3 ausatmen. Sie schaute wieder auf. Der Abstand zur Gefängnismauer war wieder normal. Kein Vor- und Zurückweichen mehr wie vorhin. Sie konnte sich auch die vielen Personen dahinter nicht mehr vorstellen. Das war nur einen Augenblick lang so gewesen. Wie in einem Kinderbuch hatte sie durch die Wände hindurch die Personen in den Gebäuden sehen können. Es waren 1600 Insassen in diesem Komplex untergebracht. Es wurden 20 Prozent der Kosten gegenüber den staatlichen Gefängnissen eingespart. Die Institution war Teil der Praxisausbildung der Trisecura Academy. Eine zusätzliche Nutzung. Zusätzliche Effizienz. In der Ausbildung war jeder Augenblick in diesem Komplex zusätzliche Sicherheitspraxis. Die Nähe der Insassen war eine stete Aufforderung, die Algorithmen zu beachten. Ernst zu nehmen. Durchzuführen. Anzuwenden. Die Rezeptionistin hier. Sie hatte alles perfekt befolgt. Der Arzt. Alles perfekt befolgt. Sie musste nicken. Es war vollkommen richtig, dass sie hier nicht einfach hinausgehen durfte. Das gewährleistete ihre Sicherheit und bewahrte Trisecura vor Forderungen, falls ihr etwas geschah. Hier. Auf dem Campus und im Gefängniskomplex galten ausschließlich die Regeln der Trisecura. Sie war in Trisecura. Trisecura lag in England. Aber Trisecura war ein eigenes Territorium mit eigenem Hausrecht, und alle unterlagen dem. Dafür war man sicherer als dann in England. Man musste das alles nur befolgen. Damit man es später organisieren konnte. Man musste wissen, wie es sich anfühlen musste. Sicherheitsfachpersonen sollten alle Stufen durchlaufen. Immer von unten nach oben. Eine Sicherheitsfachperson musste die Praxis kennen.
Sie nahm sich zu wichtig. Solche Vorstellungen. Solche Erscheinungen. Die Personen hinter den Mauern. Das waren Straftäter. Die hatten sich entschieden. Die hatten das Spiel gespielt. Sie hatte damit nichts zu tun. Das hier war eine Ausbildung. In Krems war das Gefängnis auch neben der Fachhochschule, und niemand studierte deshalb nicht mehr Pädagogik oder Psychologie, weil gleich nebenan die äußersten Auswirkungen der Pädagogik oder der Psychologie vorzufinden gewesen wären. Warum ließen die es auch dazu kommen. Warum vermieden diese Männer es nicht, hierherzukommen. Es gab immer die Möglichkeit der Entscheidung. Diese Männer hatten sich für hier entschieden, und die hatten das gewusst, und jetzt mussten sie versorgt werden. Sie hasste diese Typen. Sie zwangen sie, ihr Mitleid wegzubrennen. Sie hätte diesen Insassen im Speisesaal nicht anlächeln können. Sie hätte das Gefühl gehabt, ihn wegführen zu müssen. Retten zu müssen. Aber er hatte sicherlich etwas getan, was ihn hierhergebracht hatte, und hier wurden keine leichten Verbrechen abgebüßt. Middle class luxuries. Sie wünschte sich, sie hätte an die Tante Trude geschrieben. Sie schaute auf die Mauer hinaus. Ein breiter Betonweg bis zur Straße. Rasen links und rechts. Rundkronige Bäume. Was machte sie hier. Es war nicht ihre Aufgabe, darüber zu entscheiden, wer Täter war und wer nicht. Sie hatte Allmachtsphantasien. Sie hatte Allmachtsphantasien, damit sie eine heilige Weltretterin bleiben konnte. Sie hatte diese Allmachtsphantasien, damit sie nicht zur Kenntnis nehmen musste, dass es böse Personen gab. Sie glaubte nicht an die Gerichte, die diese Männer hierherschickten. Sie glaubte an eine Unschuld, die sie selbst noch nie erlebt hatte. Sie hatte Allmachtsphantasien, damit sie nicht zugeben musste, wie man an ihr gehandelt hatte. Sie sollte sich hassen dafür. Sie sollte sich zuerst dafür hassen. Sie sollte sich für diese Wehrlosigkeit hassen. Für diese Dummheit.
Weitere Kostenlose Bücher