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Wen küss ich und wenn ja, wie viele? - Lilias Tagebuch

Wen küss ich und wenn ja, wie viele? - Lilias Tagebuch

Titel: Wen küss ich und wenn ja, wie viele? - Lilias Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mara Andeck
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Sonntag, 22. Mai
    Problem: Seit exakt drei Stunden bin ich sechzehn. Ich darf jetzt bis Mitternacht weggehen. Und Segelflugzeuge fliegen! Traktor fahren! Und Bier trinken! Außerdem kann ich ab sofort bestimmen, wer nach meinem Tod meine Organe bekommt, meine Leber oder meine Augenhornhaut. Das ist doch super. Warum bin ich trotzdem so deprimiert?
    19.33 Uhr Pfrrrrrrrrrrrrrr. Allein der Gedanke, dass man Hornhaut auf den Augen hat … Bäh!
    19.36 Uhr Habe den Verdacht, dass andere Leute an ihrem sechzehnten Geburtstag abends nicht allein in ihrem Zimmer vorm Fernseher rumhängen, Tagebuch schreiben und über ihre Augenhornhaut nachdenken. Oder doch?
    19.38 Uhr Hab den Fernseher ausgemacht. Mit Fußtritt. Grund: Eine Reportage über die Jugend von heute. »Das Leben ist eine einzige Party für die Generation Geil, die heutigen Sechzehnjährigen«, hat das Schnarchgesicht von Reporter ins Mikro gebrüllt. Hinter ihm tanzten braungebrannte Jungs und Mädels mit bauchfreien Tops ekstatisch irgendwo am Strandvon Lloret de Mar. Dann küssten sich zwei in Großaufnahme. Ihre Augenhornhaut war ihnen total egal, das sah man.
    Toll.
    Danke.
    19.43 Uhr Esse noch ein Stück Geburtstagskuchen.
    Mit Smarties.
    Das ist doch auch sehr schön.
    Pffff.
    19.45 Uhr Wenn mein Leben eine Party ist, dann möchte ich jetzt bitte nach Hause.
    19.50 Uhr Ich sollte ehrlich sein, wenigstens in diesem Tagebuch: Ja, ich hatte auf eine Überraschungsparty gehofft. Ich hatte sogar fest damit gerechnet. Hatte in der Clique erwähnt, wie gern ich feiere und wie ungern ich Partys organisiere. Und als sie alle sagten, sie müssten heute Bio lernen und wir würden meinen Geburtstag irgendwann nachholen, da dachte ich, das sei eine Ausrede und sie würden in Wahrheit, ach, egal.

    20.00 Uhr Oh, da sind sie ja endlich, die Guten! Höre von unten Musik und Gelächter. Werde schleunigst Kajal nachziehen und Party-Top anziehen. Oder doch nicht? Muss ja aussehen, als hätte ich nichts geahnt. Vielleicht sexy Schlafshirt und verwuscheltes Haar? Schreibe später weiter!
    20.10 Uhr Bongbongbong. Würde am liebsten meinen Kopf auf die Tischplatte hauen. Bin eben runtergeschlichen undhabe durchs Schlüsselloch ins Wohnzimmer gelinst. Keine Party. Nur Mama und Paps, lesend, bei einem Glas Wein. Absolute Stille, ich konnte die Standuhr ticken hören. Die Musik und das Gelächter kamen von den Nachbarn.
    20.17 Uhr Warum krieg ich immer nie was?
    20.25 Uhr So ein bekloppter Geburtstag!
    Komisch, eigentlich ist er ja genau wie die letzten 15, und die fand ich immer ganz okay. Morgens Geschenke, mittags mein Lieblingsessen, nachmittags Besuch von Oma und Opa, noch mal Geschenke, dazu der traditionelle Kult-Kuchen mit Smarties, und abends »mit den Geschenken spielen«. Die Party mit Freunden gab es traditionell immer schon irgendwann später, wenn’s eben passte. War doch immer ganz nett. Klar, meinen Adrenalinspiegel bringt das seit Jahren nicht mehr in Wallung, aber es fühlte sich jedes Mal warm und gemütlich an. Warum reicht mir das nicht mehr?
    20.27 Uhr Keine Ahnung. Aber so ist es. Ich will Party, ich will Jungs, ich will Musik. Und ich will auch einen Kuss in Großaufnahme.
    Menno!!!
    Mama und Paps sitzen jetzt friedlich unten im Wohnzimmer und glauben, dass alles in Ordnung ist. Sie denken, dass ich fernsehe, und weil der Fernseher mein Geburtstagsgeschenk war, läuft das unter »mit den Geschenken spielen«. Also ist alles wie immer, alles in schönster Ordnung. Wahrscheinlich lächeln sie sich gerade an und seufzen und denken an die Zeit,als ich rund und rosig auf die Welt kam. Und sie freuen sich, dass ich immer noch so ein Wonneproppen bin. Pflegeleicht, das hat Mama neulich über mich gesagt, Lilia war immer schon pflegeleicht.
    Na klar, und voll waschbar bei 30 Grad, aber nach dem Waschen bitte in Form ziehen und auf keinen Fall in den Trockner tun, sonst geht sie ein!
    Ich will nicht mehr pflegeleicht sein. Wild und gefährlich, das wär’s!
    Habe kurz überlegt, ob ich runtergehen und meinen Frust an den beiden auslassen soll. Bringt aber nix. Was mir gerade fehlt, sind definitiv nicht meine Eltern.

    20.55 Uhr Nee, so geht das nicht. Ich habe ein Problem und ich habe Geburtstag. Das sind zwei gute Gründe, um irgendjemanden stundenlang vollquatschen zu dürfen. Ich rufe jetzt Dana an, die hat genug gelernt, die kann sich jetzt mal ein bisschen um mich kümmern. Wozu hat man Freundinnen?
    21.00 Uhr Danas Handy sagt: »Mein Name ist Box. Mail Box.

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