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Die Schmerzmacherin.

Die Schmerzmacherin.

Titel: Die Schmerzmacherin. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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Morgentraining dreimal durchexerziert. Sie war nicht einmal bis zum ersten Mal gekommen. Mittlerweile wäre es wegen dieser Schlaftabletten nicht gegangen. Hazel hatte ihr ein Schlafmittel geborgt. Falls sie nicht schlafen könne, diese pills wären immer hilfreich. Sie hatte sie genommen und wirklich tief geschlafen. Aber am Morgen war dann mit Sport gar nichts anzufangen.
    Sie hatte begonnen, in der Mittagspause zu laufen. Sie nahm beim Frühstück Obst und Muffins mit und ging auf den Sportplatz. Sie trug die Laufsachen unter dem Leinenkostüm. Sie musste nur duschen und ihre Sachen wieder anziehen. Die Schuhe hatte sie in der Umhängetasche. Sie wickelte die Muffins in Servietten und steckte sie in die Laufschuhe. Die Laufschuhe in die Schuhsäcke. Die Muffins waren dann bis zum Mittag nicht ganz zerbröselt. Vom Aufwachen an plante sie die Mittagspause. Von der Mittagspause an plante sie ihre Flucht.
    Sie lief. War das die fünfte Runde. Oder die sechste. Sie lief. Sie wollte sich nichts überlegen. Keine Fragen der Personalentwicklung. Psychologische Stabilität und deren Messung. Versicherungspakete und wie sie die Motivation beeinflussten. Familienbande und wie Personalentwicklung sie einbeziehen sollte. Sie stellte sich vor, wie die Personalabteilung mit ihrer Tante Marina sprach. Über die benefits, wenn sie bei einem Auslandseinsatz umkommen würde. Es wäre gut, die Familie zu einem Treffen zusammenzuführen. Erklären, we don’t put your sons and daughters in harm’s way but … Bei ihr. Da wäre das ein nettes internationales Treffen. Die Marina konnte gleich eine Sitzung der Erbengemeinschaft anschließen. Und wenn sie tot war, dann konnten die sich die Versicherungssumme teilen. Consens building. Es würde nicht hilfreich sein, wenn die Familie die Motivation eines ihrer Mitglieder nicht verstehen würde. Es würde die Einsatzleistung mindern.
    Würde das ihre Einsatzleistung mindern. Die Tante Trude. Der Onkel Schottola. Der Gino. Vielleicht. Aber die waren alle nicht Familie. Die würden da nicht aufscheinen. Ihre Mutter. Die Frau, die sie immer schon verlassen hatte. Die würde am Ende kassieren. Rein rechtlich. Aber vielleicht war das eine lustige Gelegenheit, ihre Mutter neu kennenzulernen. Ein Treffen zur Instruktion der Familie über die Versicherungsangelegenheiten bezüglich eines Auslandseinsatzes eines ihrer Familienmitglieder als Sicherheitsfachkraft. Das wäre genau richtig gewesen. Mit ihrer Mutter darüber zu reden, was ihr Tod wert war. Wert wäre. Diese Person hatte ihr das Leben geschenkt. Dann musste sie ihr ihren Tod zurückschenken. »Tit for tat« hieß das hier. Aber ihre Mutter. Die musste sie als Leihmutter ansehen. Die war ihre Leihmutter gewesen. Die hatte jetzt ihre eigenen Kinder, und sie war das leihweise Ausgetragene. Ihre Mutter war nicht bezahlt worden dafür. Das war es wahrscheinlich. Wahrscheinlich hatte ihre Mutter nicht das Gefühl, belohnt genug zu sein. Für sie. Es war alles nur ein Geschäft. Schiefgegangen. Dieser deal war schiefgegangen. Und beide Geschäftspartner unzufrieden. Aber ihre Mutter war unzufrieden gewesen, bevor sie etwas hätte machen können.
    Ein Frau kam quer über den Sportplatz. Im Businesskostüm. High heels. Das war verboten hier. Sie ging zielstrebig. Querte die Tartanbahn. Stieg auf das Kunstrasenfeld. Steuerte auf die Mitte zu. Sie blieb stehen. Wandte sich um. Winkte.
    In der Kurve konnte sie die anderen sehen. Lachend. Redend. Rufend. Sie kamen über die Straße herüber auf den Sportplatz. Aufgeregt. Alle dunkel gekleidet. Auf dem Sportplatz breiteten sich die Personen aus. Eine Gruppe in der Mitte. Ein Mann zog sich aus. Er ging und knöpfte sein Hemd auf. Die Männer rund um ihn johlten. Eine Frau ging neben ihm. Sie trug sein Sakko und nahm sein Hemd in Empfang. Der Mann begann seinen Gürtel aufzumachen. Die Hose. Er zog die Hose im Gehen aus. Er trug eine Sporthose unter seiner Anzughose.
    Wie ich, dachte sie. Trugen alle unter ihren dunklen, seriösen Kleidern ihre Sportsachen. Sie war enttäuscht. Sie war sich so geschickt vorgekommen. Aber wenn alle das so machten. Dann war das keine Leistung mehr. Der Mann zog sein Unterhemd aus. Die Frau, die als Erste aufgetaucht war. Alle gingen zu ihr. Sie hatte den Arm gehoben. Der Mann verschwand in der Gruppe.
    Sie hatte stehen bleiben müssen. Ein Mann querte die Tartanbahn vor ihr. Sie schaute ihn fragend an. Er deutete mit dem Kopf auf die Gruppe. Eine Wette. Sie wiederholte.

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