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Die Schmerzmacherin.

Die Schmerzmacherin.

Titel: Die Schmerzmacherin. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Streeruwitz
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begann sie in den Blick zu bekommen. Sie wahrzunehmen. Sie beugte sich vor. Ob sie etwas tun könne. Henry? Er schaute sie an. Lange. Er schloss die Augen. Schaute sie wieder an. Sie begann, ihn anzulächeln. Der Mann sah sie erstaunt an und begann, sich zu erinnern. Er schaute schnell weg. Aber sie hatte es gesehen. Den Wunsch, im Erdboden zu versinken. Die Scham. Die Erniedrigung. Sie wollte gerade anfangen zu sagen, dass er doch betrogen worden wäre. Dass die Zeit nicht eingehalten worden sei. Die Regeln nicht eingehalten. Plötzlich hatte sie aber deutsch gedacht und musste erst im Kopf übersetzen. Da flüsterte der Mann »fuck off«. Sie beugte sich vor, das genau zu verstehen. Der Mann sagte nichts mehr. Er hatte die Augen geschlossen. Sie stand auf und ging.
    In der Dusche ärgerte sie sich über sich selbst. Warum war sie nicht einfach in ihr Zimmer gegangen. Das war weit weg vom Sportplatz. Aber jetzt. Das hier war eine Unisexdusche. Henry konnte hier jeden Augenblick auftauchen. Sie drehte sich zur Wand. Die Schamesröte stieg ihr wieder auf. Sie drehte das Wasser noch stärker auf. Sie stand unter Wasserbeschuss. Jeder Tropfen ein schmerzender Aufprall. Nadelspitzenhart. Nur der Gedanke, wie schädlich das für die Haut war, ließ sie die Dusche beenden. Sie zog ihre Kleider über die nasse Haut. Sie zog die Sportschuhe wieder an und ging zur Straße. Der Sportplatz war leer. Niemand lag in der Mitte des Kunstrasens. Die Sonne war durch die Wolken durchgebrochen, und es war stechend heiß.
    »You fuck off.« dachte sie beim Vorbeigehen. Sie schaute auf ihr handy. Es war 14.30 Uhr. Der Unterricht hatte schon begonnen. Sie konnte in ihr Zimmer gehen. Da konnte man auf dem Bett liegen oder in der Dusche stehen. Sitzen konnte man nur auf der Toilette. Das Bett hing so durch, dass es einen zusammenklappte, wenn man da sitzen wollte. Sie ging zum Hauptgebäude. Sie fühlte sich frisch. Beschwingt. Entspannt. Wie nach einem richtig guten stretching. Sie konnte sich nicht vorstellen, woher das gute Gefühl kam. Die lange Dusche. Oder war sie genug gelaufen. Endlich einmal. Es machte ihr nicht einmal die Hitze etwas aus. Die feuchten Kleider waren kühl auf der Haut.
    Sie bog zum Hauptgebäude ab. Ihre Klasse war im 9. Stock. Sie kramte ihre Sicherheitskarte aus der Tasche und hielt sie an den scanner. Die Tür glitt auf. Drinnen kühl. Zu kühl mit den feuchten Kleidern. Sie ging an den Liften vorbei. Zum Haupteingang. Sie musste warten. Alle Sicherheitsbeamten an der Rezeption beschäftigt. Sie wartete. Sie wartete, bis der Sicherheitsmann sie an die Theke winkte. Sie wolle sich austragen. Sie bekam das Buch hingeschoben. Gab ihre Sicherheitskarte ab. Sie bekam eine Marke dafür. Der Mann klickte ihr das Drehkreuz auf. Sie ging hinaus. Sie ging zur Bushaltestelle. Wartete da. Sie war allein. Der Bus kam. Sie stieg ein. Vorne. Sie legte 1 Pfund 20 Pence hin. Bekam ihre Karte. Sie ging gleich nach hinten. An den Ausstieg. Stand da. Sie schaute vor sich hin. Wenn jemand sie vom Hauptgebäude aus beobachtete, dann war sie mit dem Bus nach Nottingham ins Zentrum gefahren. Sie drückte auf den grünen Knopf. Sie wollte aussteigen. Der Bus hielt. Die Türen gingen auf. Sie sprang die Stufen hinunter auf den Gehsteig. Sie ging langsam weg. Wartete, bis der Bus weggefahren war. Sie schaute sich wieder um. Sie lächelte. Das war ein schönes Spiel. Sie ging um die Ecke. Die Straße hinauf. In einer Sackgasse zwischen Lagerhäusern hatte sie das Auto stehen. Sie klickte das Auto von weitem auf. Lief zum Auto. Setzte sich hinein. Startete. Ließ alle Fenster aufgehen. Sie setzte sich hin. Sammelte sich. Links fahren. Sagte sie zu sich. Streng. Es muss links gefahren werden. Sie hatte wieder auf der falschen Seite einsteigen wollen. Dann fuhr sie los. Sie musste vor einer Einfahrt reversieren. Das GPS . Sie drückte auf » NAVI «. »Previous destinations«. Sie drückte auf das letzte Ziel. Sie hatte die Frauenstimme im Navigationsgerät beibehalten. Sie hatte aber auf Deutsch umgeschaltet. Sie ließ sich aus der Sackgasse hinausschleusen. Sie war beschäftigt, auf der linken Seite zu bleiben. Sie konnte nur auf die Straße starren und im Kopf alles umkehren. Langsam kam die Gewöhnung, und sie konnte sich umsehen.
    Sie fuhr eine einzige lange verlassene high street entlang. Aus Nottingham hinaus. Die Straße in Richtung Peak District. Erst Industrie. Lagerhäuser. Hallen. Dazwischen Wohngegenden. Kleine Häuschen.

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