Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Der Gaukler: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Ziebula
Vom Netzwerk:
P ROLOG
    D ie Sonne flimmerte im Zenit. Vom See her fielen heiße Winde den Bergrücken herab. Talwärts stand Rauch über den Wipfeln des Sommerwaldes; zu viel für ein Köhlerfeuer, zu wenig für einen Waldbrand.
    Lag nicht ein Weiler dort unten in den Hängen über dem Drautal? Stephan erinnerte sich dunkel an Gehöfte und Hütten zwischen Wiesenmatten und Bachlauf, erinnerte sich auch an Ziegen, Rinder und Bienenstöcke. Auf der Beizjagd war er dort unten vorbeigekommen … Richtig, mit dem Stiefvater; dessen Adler hatte ein Lamm gerissen damals. Hundert Jahre her.
    Die Bärin hinter ihm brummte, blieb stehen und hob schnüffelnd den Schädel. »Nur ein Feuerchen, Cura, nur ein bisschen Rauch.« Stephan drehte sich nach dem Tier um und pfiff dreimal leise. »Weiter geht’s.« Er sprach kroatisch mit der Bärin. »Vor Sonnenuntergang sind wir zurück bei der Landgräfin, keine Sorge.« Er nahm den Spieß auf die andere Schulter und folgte dem Wildpfad. Bei jedem Schritt klirrte die Kette an seiner Hüfte. Die Bärin trottete hinter ihm her.
    Sechs Tage hatten sie in der Wildnis zugebracht; der Bärenführer in einer Baumhütte, seine pelzige Tänzerin unter den Pranken eines liebestollen Wildbären.
    Der Pfad führte aus dem Laubwald und an einen kleinen Wasserfall. Über einen Steg ging es hinter dem Vorhang aus stürzendem Wasser zu einer Viehweide. An deren Mauer entlang konnte der Bärenmann bis hinunter zum Fluss blicken – und auf den Weiler. Eine Hütte brannte dort unten, eine einzige. Männer standen zwischen Backofen und Misthaufen, doch niemand löschte.
    Niemand löschte?
    »Jesses, Maria und Josef!« Stephan schwante Böses. »Komm her, Cura, komm schnell!«
    Er beugte sich zur Bärin hinunter, streifte ihr ein Geflecht aus runzligem Leder über die Schnauze, band die Kette von der Hüfte und schloss sie dem Tier ans Halsband. Vermutlich waren es die gräflichen Totschläger, die untätig um das brennende Haus herumstanden.
    Stephan rannte über die Weide – schnell wieder in den Schutz des Waldes eintauchen, schnell weg hier, nichts sehen, nichts hören! Neben ihm sprang die Bärin durchs Gras. Sage niemand, es habe keinen Verstand, so ein Tier – es roch das Feuer, es roch die Furcht seines Herrn und es roch die dumpfe Wut des Mobs.
    Es musste der Landeshauptmann sein, der dort unten Lutherische jagte. Warum sonst löschte niemand? Und kehren sie nicht in den Schoß der Kirche zurück, dann fahren sie eben zur Hölle – so pflegte die gräfliche Sau den wahren Glauben zu erklären.
    Gehörnte Schädel hoben sich aus dem Gras, die Leitkuh blinzelte zur braunen Bärin herauf, warf den schweren Leib herum, blökte – und dann blökte die ganze Herde. Angst erfasste die Rinder, Hufschlag wurde laut, die Tiere galoppierten zur unteren Einfriedung, drückten sich gegen die Mauer; einige richteten sich gar auf den Hinterläufen auf und setzten die Vorderhufe auf die Mauerkrone.
    Im Schutz der Eichen auf der anderen Seite der Weide lauschte Stephan, der Bärenmann. Die Rinder beruhigten sich nach und nach, äugten bald nur noch blöde zu ihm herauf. Schritte raschelten im Unterholz. Er streckte die Rechte nach der Bärin aus, pfiff einen leisen, abschwellenden Ton. Cura ließ sich auf den Hinterläufen nieder. »Brave Tänzerin.« Flüsternd ging er neben einer Eiche in die Hocke und stützte sich auf seinen Spieß.
    Schwarz und weiß leuchtete es im Unterholz. Schwarzer Schopf, weißes Gesicht. Eine junge Frau, fast noch ein Mädchen.
    Nein – zwei Gesichter: eine junge Frau mit einem Kind aufdem Arm. Sie wankte den Hang herauf, stolperte und stürzte in die Blaubeeren, dann rappelte sie sich wieder auf und setzte ihren Weg fort. Jetzt entdeckte sie ihn. Sie lehnte sich an eine Buche, drückte das Kind an ihren Körper und äugte. Nichts als Angst und Schrecken sprach aus den bleichen Zügen, und der Atem der Frau ging wie in Luftnot, rasselte, keuchte.
    »Armes Weib«, murmelte Stephan. »Gönnen sie dir deine lutherische Messe nicht, diese groben Säue? Will der Graf, der verfluchte Hundsfott, euch mit Feuer zwingen zu beten, wie der Kaiser betet?«
    Die Frau richtete sich auf, machte große Augen, ließ den Baum hinter sich und kam näher. Erst langsam, dann schneller.
    Stephan nahm den Tornister vom Rücken, kramte den Kanten Brot heraus, der von seiner Wegzehrung noch übrig war, und streckte ihn ihr entgegen. Unsinnig im Grunde, denn der Wald nährte jeden, der zuzugreifen wusste. Doch er

Weitere Kostenlose Bücher