Die schöne Ärztin
sie sahen auch nicht mehr auf die Dolche, sie starrten sich in die Augen, in denen zu lesen war, wer und wann jemand sprang. Auch hier, bei diesem Kampf auf Leben und Tod, galt die alte Boxregel: Der Schlag wird im Auge fixiert, nicht in der Faust.
Die Kreise Pedronellis wurden enger und enger. Er stand unter Zeitdruck. Die prasselnden Flammen der Hütte und ihr Rauch konnten nicht unbemerkt bleiben. Der erste Stoß war der entscheidende, das wußten sie beide. Dem, den der erste Stoß traf, war der Nerv genommen.
Pedronelli blieb plötzlich stehen. Er schwitzte, griff sich mit der Linken in die Tasche, um sich scheinbar ein Taschentuch herauszuholen, behielt aber in der rechten stoßbereit den langen Mafiadolch. Cabanazzi grinste.
»Ist dir heiß geworden, du dickes Schwein«, sagte er höhnisch.
Pedronelli schwieg. Seine Linke kam aus der Tasche heraus, aber sie hatte kein Taschentuch zwischen den Fingern, sondern zuckte blitzschnell hoch, etwas Blinkendes flog durch die Luft und bohrte sich in Cabanazzis Oberschenkel. Es war unmöglich, an eine Abwehr zu denken, auszuweichen, sich fallen zu lassen. Man sah das Messer kaum fliegen und erkannte erst, was es war, als es mit zitterndem Griff im Schenkel Cabanazzis steckte.
Cabanazzi brüllte auf wie ein gestochener Stier. Er schwankte, das getroffene Bein knickte ein, der ganze Mann verlor den Halt. Pedronelli hatte leichtes Spiel. Rasch, ich muß weg, dachte er – und machte einen kleinen Fehler. Welchen, war später nicht mehr festzustellen. Das Messer des stürzenden Cabanazzi fuhr ihm in den Hals. Kinder, die als erste herbeieilten, fanden beide tot. Mit zerfetzten Schlagadern waren sie innerhalb kurzer Zeit verblutet.
Kurt Holtmann stand vor Generaldirektor Dr. Vittingsfeld. Er war einfach in dessen Allerheiligstes hineingegangen wie in eine Kneipe, die man betritt, ohne den Hut abzunehmen. Die Vorzimmersekretärin war von ihm beiseite geschoben worden.
»Wie kommen Sie mir vor?!« schrie ihn Vittingsfeld an.
Holtmann legte ihm zwei Blätter mit dem Text des Tonbands auf den Schreibtisch und sagte ruhig: »Lesen Sie das.«
»Ich denke nicht daran! Was ich lese, bestimme ich selbst – und nicht Sie!«
»Das schickt Ihnen Mizzi Pollak.«
»Wer ist Mizzi Pollak?«
»Sie engagierten sie in Düsseldorf.«
Der Blitz schlug ein, das Gebrüll Vittingsfelds erstarb.
»Lesen Sie!« wiederholte Holtmann erbarmungslos.
Vittingsfeld gehorchte. Die Lektüre der Blätter war so fürchterlich für ihn, daß ihm die Buchstaben vor den Augen verschwammen. Der große Hermann Vittingsfeld wußte, daß alles für ihn zusammenbrach, daß er erledigt war. Das ertrug er nicht.
Noch von keinem bemerkt, trat der unsichtbare Gevatter Hein ins Zimmer, der Tod. Er näherte sich dem leichenblassen Mann am Schreibtisch, der das Blatt Papier in seiner Hand auf den Schreibtisch fallen ließ, griff ihm in die Brust, erfaßte das Herz und drückte es ab. Der Mann sank tot vom Stuhl.
Als auf den Alarm Holtmanns hin die anderen aus den umliegenden Räumen hereinstürzten, konnten sie nur noch vor einem verstorbenen Konzernherrn stehen und Entsetzen heucheln. Ein Arzt stellte einen Herzstillstand fest, ließ Vittingsfeld auf ein Sofa tragen und deckte das weiße Ziertuch aus dem Anzug des Toten über das leblose Gesicht.
Er starb in den Sielen, würde es zwei Tage später bei den ganzseitigen Todesanzeigen in den Zeitungen heißen. Mitten aus dem Schaffen riß ihn der Tod. Er hat sich aufgerieben für sein Werk.
Das letzte Schriftstück, das Vittingsfeld gelesen hatte, wurde vom 1. Direktor mit dem Einverständnis Holtmanns durch den Papierwolf gedreht. Man war es dem Andenken des Toten schuldig, daß die Weste auch im Sarg weiß blieb.
Es wurde ein großes Begräbnis. Sogar von der Regierung aus Bonn kam jemand, legte einen Kranz mit den Bundesfarben nieder und sprach markige Worte über den Mitgestalter der deutschen Aufbaus. Die Spitzen der Großindustrie warfen ihr Schüppchen Sand auf den Sarg, verweilten einige Sekunden in ergriffenem Gedenken an der offenen Grube und traten dann zur Seite.
Wer wird der Nachfolger werden, dachten sie allesamt. Dr. Rupprecht? Oder Dr. Morgenthal? Nein, Dr. Weidel? Er hatte die älteste Vittingsfeldtochter zur Frau. Er galt als Kronprinz.
Noch am offenen Grab war man sich einig, daß es Dr. Weidel sein würde. Während noch die anderen ihr Schüppchen Erde hinabwarfen – eine Sekunde Gedenken, gefurchte Stirn, ergriffen zusammengepreßte
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