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Im Saal der Toten

Im Saal der Toten

Titel: Im Saal der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Fairstein
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    Beim Anblick des Blutflecks auf dem Treppenabsatz im zweiten Stockwerk eines Brownstone-Hauses in einer der sichersten Gegenden von Manhattan wunderte ich mich, dass die junge Frau, der man gestern hier ein Steakmesser in die Brust gestoßen hatte, noch am Leben war.
    Mercer Wallace ging neben der getrockneten Blutlache in die Hocke und deutete auf einige unterschiedlich rot gefärbte Stellen. »Diese Schlieren stammen wahrscheinlich vom Schuh des Täters. Er muss dort drüben ausgerutscht sein.«
    Es sah tatsächlich aus, als wäre der Täter in der Blutlache vor der Wohnungstür des Opfers ausgerutscht und zur Treppe gestolpert.
    »Also hat er wahrscheinlich Blut an den Klamotten?«
    »Mit Sicherheit an den Hosenbeinen und den Schuhen. Schau dir das an, Alex.« Mercer deutete auf einen blutigen Abdruck an der hellgrau gestrichenen Wohnungstür zu Apartment 3B. »Dieser Abdruck stammt von ihr. Sie muss sich mit dem Fuß gegen die Tür gestemmt haben, um ihn wegzuschieben. Sie hat sich mit aller Kraft gewehrt.«
    Die V-förmige Spitze eines zierlichen Schuhs und ein kreisrunder Abdruck etliche Zentimeter darunter ließen erkennen, dass es ein Stöckelschuh gewesen war.
    »Dafür, dass sie Pfennigabsätze getragen hat, ist sie recht glimpflich davongekommen. Sie hat ziemliches Glück gehabt«, kommentierte der uniformierte Cop, der den Tatort die letzten zwölf Stunden bewacht hatte.
    »Heißt das jetzt so, wenn sich jemand gegen einen Vergewaltiger zur Wehr setzt und mit ein paar Einstichwunden in der Brust und einer kollabierten Lunge auf der Intensivstation landet?«
    »’tschuldigung, Ms Cooper. Ich wollte nur sagen, dass die Dame von Glück reden kann, noch am Leben zu sein. Sie wissen, dass sie keinen Puls mehr hatte, als sie in der Notaufnahme ankam?«
    Mercer hatte es mir erzählt. Annika Jelt hatte auf der kurzen Fahrt zum New York Hospital zu atmen aufgehört. Die Cops, die von einer Nachbarin gerufen worden waren, nachdem diese die Schreie im Treppenhaus gehört hatte, wussten, dass keine Zeit blieb, auf den Krankenwagen zu warten. Der junge Polizist, der die Verletzte zum Streifenwagen hinuntergetragen hatte, war im Irak Sanitäter bei der Reservearmee gewesen. Annika verdankte ihr Leben der Tatsache, dass er sie auf dem Rücksitz des Streifenwagens reanimiert hatte, bevor man sie von der Notaufnahme in den OP-Saal schob, um ihre Blutungen zu stillen und die kollabierte Lunge zu behandeln.
    Ich folgte Mercer ins Treppenhaus. Die Spurensicherung hatte das Gebäude gründlich untersucht, nachdem Mercer sie gestern kurz nach drei Uhr morgens zum Tatort gerufen hatte, und das Geländer und die Wände waren noch immer mit Fingerabdruckpulver bestäubt.
    »Er ist nicht in ihre Wohnung gekommen?«
    »Nein. Sie hat sich mit Händen und Füßen gewehrt.«
    »Fehlt irgendetwas?«
    »Ihr Schlüsselbund. Haus- und Wohnungsschlüssel. Der Hausverwalter hat bereits beide Schlösser ausgewechselt.«
    »Geld? Schmuck?«
    »Ihre Handtasche lag neben ihr auf dem Boden. Darin waren Bargeld und Kreditkarten, außerdem trug sie ihre Ohrringe und ihren Armreif. Aufs Geld hatte er es nicht abgesehen.«
    Mercers Auto stand vor dem fünfstöckigen Haus in der 66. Straße Ost in zweiter Reihe. Er hatte mich gestern früh um sechs Uhr aufgeweckt und mir von der versuchten Vergewaltigung berichtet. In meinen zehn Dienstjahren als Leiterin der Abteilung für Sexualverbrechen bei der Bezirksstaatsanwaltschaft von Manhattan hatten ich und der Detective im Sonderdezernat für Sexualverbrechen der New Yorker Polizei schon unzählige Male zusammengearbeitet. Er wusste, dass ich als Erste Bescheid wissen wollte, noch bevor die Lokalnachrichten darüber berichteten und mir der Bezirksstaatsanwalt Paul Battaglia Löcher in den Bauch fragte, damit er mit Hilfe meiner Informationen Lokalpolitiker, besorgte Bürger und die sensationslüsterne Presse in Schach halten konnte. Ein Gewaltverbrechen, noch dazu ein Sexualdelikt auf der noblen Upper East Side, war immer für Schlagzeilen gut.
    Ich war heute Nachmittag vom Büro zur Wohnung des Opfers gefahren, nachdem Mercer von der Spurensicherung grünes Licht erhalten hatte, mir den Tatort zu zeigen. Es half mir bei jeder Ermittlung, einen persönlichen Eindruck vom Tatort zu gewinnen und zu sehen, ob es Anzeichen eines Kampfes oder irgendwelche Hinweise auf die Vorgehensweise des Täters gab. Ich wollte mit eigenen Augen sehen, welche Lichtverhältnisse am Tatort herrschten und in welchem

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