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Die schöne Kunst des Mordens

Titel: Die schöne Kunst des Mordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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der Ungeheuer meinen Respekt zu erweisen, doch soll es nicht sein. Ich wiederhole die Frage später noch einmal vor einem Taxifahrer und ernte dieselbe Antwort, die Rita mit einem irgendwie beschämten Lächeln übersetzt.
    »Dexter«, sagt sie. »Deine Aussprache ist schrecklich.«
    »Spanisch könnte ich vermutlich besser«, gebe ich zu.
    »Das wäre auch egal. Es gibt keine Rue Morgue.«
    »Was?«
    »Sie ist erfunden«, erklärt sie. »Edgar Allen Poe hat sie sich ausgedacht. Es gibt keine
echte
Rue Morgue.«
    Ich fühle mich, als hätte sie soeben behauptet, es gäbe keinen Weihnachtsmann. Keine Rue Morgue? Kein fröhlicher historischer Stapel Pariser Leichen? Wie kann das sein? Aber sicherlich stimmt es. Ritas Paris-Kenntnisse sind über jeden Zweifel erhaben. Sie hat zu viele Jahre mit zu vielen Reiseführern verbracht, als dass sie sich irren könnte.
    Und so gleite ich zurück in meinen Panzer dumpfer Willfährigkeit, das leichte Aufflackern von Interesse ebenso tot wie Dexters Gewissen.
    Nur drei Tage vor unserem Rückflug in die gesegnete Niedertracht und das Chaos Miamis stand uns der Louvre bevor. Der gehört zu den Dingen, die sogar in mir leises Interesse wecken; immerhin bedeutet keine Seele zu besitzen nicht, dass ich Kunst nicht zu schätzen weiß. Ganz im Gegenteil. Kunst ist im Grunde genommen doch das Schaffen von Mustern, die einen bedeutsamen Eindruck auf die Sinne bewirken sollen. Und ist dies nicht genau das, was auch Dexter tut? Selbstverständlich ist Eindruck in meinem Fall ein wenig wörtlicher zu nehmen, aber dennoch – ich weiß auch andere Medien zu schätzen.
    Deshalb war es zumindest gelindes Interesse, mit dem ich Rita über den riesigen Innenhof des Louvre und die Stufen hinunter in die Glaspyramide folgte. Sie hatte beschlossen, bei dieser Besichtigung auf eine Führung zu verzichten – nicht aus Abscheu vor den schmuddeligen Herden gaffender, geifernder, jämmerlich ignoranter Schafe, die um jeden Führer zu verschmelzen schienen, sondern weil Rita entschlossen war zu beweisen, dass sie jedem Museum gewachsen war, selbst einem französischen.
    Sie marschierte schnurstracks zur Schlange an der Kasse, wo wir einige Minuten warteten, ehe sie endlich unsere Eintrittskarten erstand, und dann stürzten wir uns in die Wunder des Louvre.
    Das erste Wunder wurde umgehend sichtbar, als wir aus dem Eingangsbereich in das eigentliche Museum traten. In einer der ersten Galerien trafen wir auf eine riesige Menge, bestehend aus ungefähr fünf größeren geführten Gruppen, die sich um eine von einer roten Samtkordel markierte Abgrenzung scharte. Rita produzierte ein Geräusch, das wie »hmpf« klang, und ergriff meine Hand, um mich daran vorbeizumanövrieren. Während wir die Menge schnellstmöglich hinter uns ließen, warf ich einen Blick zurück; es war die Mona Lisa. »Ist die winzig«, entfuhr es mir.
    »Und völlig überschätzt«, sagte Rita steif.
    Ich weiß, dass Flitterwochen dazu dienen sollen, den neuen Lebensgefährten besser kennenzulernen, doch dies war eine Rita, die mir niemals zuvor begegnet war. Soweit ich wusste, vertrat diejenige, die ich kannte, niemals entschiedene Meinungen, insbesondere keine, die der allgemeinen Überzeugung widersprachen. Und nun bezeichnete sie das berühmteste Gemälde der Welt als überschätzt. Das ging über den Verstand – zumindest über meinen.
    »Das ist die Mona Lisa«, protestierte ich. »Wie kann die überschätzt sein?«
    Wieder gab sie ein Geräusch von sich, das ausschließlich aus Konsonanten bestand, und zerrte ein wenig heftiger an meiner Hand. »Komm, wir sehen uns die Tizians an. Die sind viel schöner.«
    Die Tizians waren schön. Genau wie die Rubens, obwohl ich nichts entdeckte, was erklärt, warum ein Sandwich nach ihnen benannt ist. Dieser Gedanke machte mir bewusst, wie hungrig ich war, und es gelang mir, Rita durch drei weitere lange Säle voller hübscher Bilder zu einem Café in einem der oberen Stockwerke zu lotsen.
    Nach einem Imbiss, wesentlich teurer als am Flughafen und nur unwesentlich schmackhafter, wanderten wir den Rest des Tages durch das Museum und betrachteten Saal um Saal voller Bilder und Skulpturen. Es gab wahrlich eine schreckliche Menge davon, und als wir endlich in den dämmrigen Innenhof traten, hatte sich mein ehemals ausgezeichneter Verstand verabschiedet.
    »Nun«, sagte ich, während wir über das Kopfsteinpflaster schlenderten, »das war wahrlich ein erfüllter Tag.«
    »Ooooh«, sagte sie,

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