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Die schöne Kunst des Mordens

Titel: Die schöne Kunst des Mordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Lindsay
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äh, vor meinem Eintreffen.«
    Salguero nickte. »Ja, das haben die Zeugen auch gesagt.«
    Einerseits war es eine gute Nachricht, dass die Zeugen dies bestätigt hatten, andererseits war es schlimm, dass er sie bereits gefragt hatte, denn dies bedeutete wiederum, dass seine erste Sorge der Frage galt,
wo Dexter sich aufgehalten hatte, als die Leichen zu fallen begannen.
In der Annahme, dass eine großartige, gefühlsduselige Heuchelei eventuell den Tag retten konnte, wandte ich den Blick ab und sagte: »Ich hätte hier sein müssen.«
    Darauf folgte von Salguero ein dermaßen ausgedehntes Schweigen, dass ich mich schließlich umdrehen und ihn ansehen musste, und sei es auch nur, um mich zu vergewissern, dass er keine Waffe gezogen hatte und auf meinen Kopf richtete. Zum Glück für Dexters Dom war das nicht der Fall. Stattdessen musterte er mich mit seinem vollkommen unbeteiligten und gefühllosen Blick. »Ich glaube, es ist sehr gut, dass Sie nicht hier waren«, bemerkte er schließlich. »Gut für Sie und Ihre Schwester und für das Andenken Ihres Vaters.«
    »Hä?«, machte ich, und es war ein Beweis für Salgueros Klugheit, dass er ganz genau wusste, was ich meinte.
    »Es gibt nun keine Zeugen mehr …« Er verstummte und bedachte mich mit einem Blick, den man vermutlich sehen könnte, wenn Kobras jemals lernen würden zu lächeln. »Keine
überlebenden
Zeugen«, verbesserte er sich. »Für irgendetwas, was unter diesen … Umständen … passiert ist.« Seine Schultern regten sich leise, vermutlich ein Achselzucken. »Und deshalb …« Er vollendete den Satz nicht, ließ ihn in der Luft hängen, so dass er lauten konnte
»und deshalb ist dies das Ende der Geschichte«
oder
»und deshalb werde ich Sie einfach verhaften«
oder sogar
»und deshalb werde ich Sie persönlich umbringen«.
Er musterte mich einen Moment und wiederholte dann »Und deshalb«, und diesmal klang es wie eine Frage. Dann nickte er und ging davon und ließ mich mit dem in meine Netzhaut eingebrannten Bild seines leuchtenden und lidlosen Starrens zurück.
    Und deshalb.
    Das war zum Glück so ziemlich das Ende. Es entstand noch ein wenig Unruhe, verursacht von der modischen Dame in der ersten Reihe, die sich als Dr. Elaine Donizetti herausstellte, eine äußerst bedeutende Gestalt in der Welt der Gegenwartskunst. Sie hatte sich vom Rand aus durchgedrängt und begonnen, Polaroids zu schießen, worauf man sie bändigen und von den Leichen wegzerren musste. Doch sie verwertete die Bilder und einiges von dem Video, das Weiss produziert hatte, für eine Reihe von illustrierten Artikeln, was Weiss bei den Menschen, denen solche Dinge gefielen, zu einer gewissen Semiprominenz verhalf. So wurde seine letzte Bitte um Bilder erfüllt. Es ist schön, wenn sich alles fügt, nicht wahr?
    Detective Coulter hatte ebenfalls Glück. Der Department-Klatsch verriet mir, dass er bei Beförderungen zweimal übergangen worden war, und ich nehme an, er hatte geglaubt, seiner Karriere einen Schub geben zu können, indem er ganz allein eine dramatische Verhaftung vornahm. Und es funktionierte! Das Department beschloss, dass es nach diesem furchtbaren Durcheinander ein wenig positive Werbung brauchen konnte, und Coulter war alles, was zur Verfügung stand. Weshalb er posthum für seinen Alleingang bei der heldenhaften Beinaherettung von Rita befördert wurde.
    Selbstverständlich ging ich zu Coulters Beerdigung. Ich liebe die Zeremonie, das Ritual, den Erguss all dieser rigiden Emotionen, und außerdem verschaffte sie mir die Gelegenheit, einige meiner liebsten Gesichtsausdrücke zu üben – feierlicher Ernst, vornehmer Kummer und Mitgefühl, sämtlich selten genutzt und dringend überholungsbedürftig.
    Das komplette Department war in Uniform angetreten, sogar Deborah. Sie wirkte sehr blass in ihrer blauen Uniform, doch immerhin war Coulter ihr Partner gewesen, zumindest auf dem Papier, und der Anstand gebot, dass sie teilnahm. Das Krankenhaus machte Ärger, doch stand sie ohnehin so kurz vor ihrer Entlassung, dass man sie schließlich gehen ließ. Natürlich weinte sie nicht – Heucheln war ihr nie so gut gelungen wie mir. Doch sie wirkte angemessen feierlich, als der Sarg in den Boden gesenkt wurde, und ich tat mein Bestes, dieselbe Miene aufzusetzen.
    Ich glaubte, es auch ganz gut hinbekommen zu haben – doch Sergeant Doakes war anderer Meinung. Ich sah, wie er mich aus den Reihen anfunkelte, als glaubte er, ich hätte Coulter höchstpersönlich erwürgt,

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