Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen
als beneidet zu sein. Wäre Neid nur nicht so gefährlich, ein Stachel für andere, uns vom Thron zu schubsen,
von der Sonne in den Schatten.
Wie mit Neid verfahren? Immer so, dass der Neid der anderen nur ohnmächtig anschwillt, ohne Gefahr für einen selbst.
Besonders heikel sind Situationen, in denen wir uns selbst zu feiern gestatten. Wenn wir etwa ein Fest geben. Mit einer Ausnahme:
der Geburtstag. Auf Geburtstagsfeiern sind wir |43| ganz ohne Neid. Insgeheim sind wir sogar schadenfroh. Ein weiteres Jahr des Gastgebers ist vergangen, in diesem Jahr weiteten
sich Geheimratsecken fast schon zur Glatze, Falten sind hinzugekommen, ein paar Kilogramm auch. Zwar sind Partys häufig Stätten
des Unheils, die Geburtstagsfeier ist es in der Regel eben nicht. Aus Mangel an Neid. Der Gastgeber, als erster angeheitert,
schenkt den Gästen Wein ein oder nach, der für gut befunden wird. Man lacht und stößt an, es gibt orientalische Vorspeisenteller,
die gelobt werden, und es stört eigentlich nur, dass, wie immer bei Festen, Gabelmangel herrscht.
Es wäre eigentlich weitaus sinnvoller, nicht den Geburtstag zu feiern, sondern eine Gehaltserhöhung. Ohne Zweifel ein freudiges
Ereignis, das an sich ein großes Fest verlangt: »Liebe Freunde und Kollegen, hiermit lade ich Sie/Euch am 15. 01. zu einer
Feier in die **str. 23 ein. Mein Vorgesetzter hat sich entschlossen, mein Gehalt von 3500 Euro auf 3800 Euro brutto anzuheben.
Darauf möchte ich mit Ihnen/Euch anstoßen. Ich kann es mir ja jetzt leisten ;-).«
Eine solche Einladung ist mit Sicherheit bislang nur selten erfolgt. Manchmal haben wir, die Kinder bürgerlicher Bescheidenheitsethik,
ein intuitiv richtiges Gespür für eine Grundregel menschlichen Zusammenlebens: Wir feiern unbeschwert, wenn es nichts zu feiern
gibt; eine Feier indes wird heikel, wenn der Gastgeber einen echten Anlass zum Feiern hat. Und den gibt es leider allzu oft.
Blicken wir auf einen Friseur, er heißt Erik und ist Anfang vierzig. Erik hat sich, nachdem er einige Jahre angestellt war,
selbstständig gemacht. Ein kleiner, nur etwas extravaganter |44| Salon in einer gut gemischten Gegend (Altlinke, Neureiche und freundliche, nicht allzu arme Ausländer). Vor der Eröffnung
veranstaltet Erik eine Feier. Alle seine Freunde sind eingeladen. Konkurrierende Kollegen kommen auch. Er lässt von lächelnden
Catering-Damen, die knappe Röcke tragen, einen berühmten Vermouth und kleine Häppchen reichen, darunter die wohl niemals ausrottbaren
Käse-Weintrauben-Spießchen. Man stößt an und lobt: Wie geschmackvoll das helle Grün an den Wänden doch sei! Und erst die ausgesprochen
große, metallisch glänzende Espressomaschine! Da habe sich Erik aber ganz schön in Unkosten gestürzt, sagt ein Kollege und
haut unserem Friseur mit der flachen Hand kräftig auf den Rücken, was beinahe zur Folge hat, dass dieser ein Käse-Weintrauben-Spießchen
verschluckt. Es wird herzhaft gelacht.
Das Klavier, aufgestellt in einer von sanftem Licht bestrahlten Ecke, wird allgemein als ein wenig übertrieben empfunden.
Jedenfalls zeigen ab und an die das Interieur begutachtenden Gäste ein verschwörerisches Augenrollen. Erik erzählt, dass immer
samstags ein Klavierspieler engagiert werden solle, der die Kunden während ihres Friseurbesuchs mit Improvisationen unterhält.
Das Wichtigste sei doch, dass so ein Friseurbesuch als Erlebnis wahrgenommen werde.
Wie verhält sich Erik auf seiner Feier möglichst vorteilhaft? Nun, man muss wissen, dass er sich gewiss ist, dass seine Unternehmung
ein voller Erfolg wird. Das Risiko ist allein deshalb recht gering, da er kürzlich in nicht unerheblichem Ausmaß geerbt hat.
Davon weiß aber niemand. Zudem |45| glaubt er nicht ohne Grund, einer der besten Friseure der Stadt zu sein. Nicht wegen einer besonderen Haarschneidetechnik,
sondern da die Kunden ein Gespräch mit ihm schätzen. Erik ist immer bestens informiert: welche Kindergärten besonders innovationsreich
sind im Viertel, wo die besten Yoga-Kurse abgehalten werden und welche Feinkostläden auch wirklich bio sind. Bereits jetzt,
noch vor dem eigentlichen Eröffnungstag des Salons, hat er Termine über beinahe zwei Wochen vergeben.
Erik gibt sich auf seiner Feier natürlich nicht zu bescheiden: »Och, es ist ja nur ein kleiner Salon!«, »Na ja, so gut Haare
schneiden kann ich eigentlich gar nicht.« Nein, das würde ihm niemand abnehmen, es hieße allenthalben: »So
Weitere Kostenlose Bücher