Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen
eine falsche Bescheidenheit!«
Noch schlimmer aber wäre es, triumphierend aufzutreten, also gewissermaßen ehrlich: »Ich bin der Größte, Leute!«
Nein, schön wäre es, Erik könnte sich hoffnungsfroh zeigen. Er würde von einer großen Herausforderung sprechen, davon, dass
mit dem Unternehmen auch Risiken verbunden seien. Einige Sorgen würde er anschneiden: der gewagte Kredit, um das alles hier
zu finanzieren, Ärger mit Behörden, nach dem dritten Glas Wein würde er gar skeptisch seine Kollegen fragen, ob die Lage für
den Salon wohl so gut gewählt sei. Man würde ihn, unter Auffahrung von allerlei Argumenten, beruhigen. Ach, alles sei so aufregend
gerade, würde der Friseur noch sehr erregt sagen und auf beinahe unsichere Weise mit seinen Gästen lebhaft anstoßen. Man würde
ihm sehr viel Glück wünschen. Von ganzem Herzen.
|46| Seinen Konkurrenten dürfte Erik mit diesem angenehm bescheiden wirkenden Verhalten in den Glauben versetzen, dass ihm eine
schwere Zeit bevorstehe. Zumindest in den ersten Jahren. Seine Freunde würden ihn natürlich unterstützen. Gern und häufig
Babysitten bei ihm und seiner Frau (die übrigens freiberuflich Heilkundekurse abhält), damit sie bei all dem ganzen Stress
»mal rauskommen«.
So geschieht es auch. Eriks Kollegen fällt erst nach einem halben Jahr auf, dass er innerhalb kürzester Zeit erfolgreicher
geworden ist als sie selbst. Sogar aus Stadtteilen, die sie bislang über Jahre beherrschten, fahren Kunden nun zu unserem
Friseur. Jeden Samstag spielt dort nämlich, ganz wie vorgesehen, ein Jüngling mit langen, blonden Haaren Klavier. Das mögen
vor allem die Frauen. Der Friseur, während dieser beinahe schon feierlichen Vorstellung des Pianisten, erklärt beim Haareschneiden
mit seiner angenehm rauchigen Stimme, wo die Frauen für ihren Nachwuchs die beste Nahrung erstehen können.
Hätten seine Kollegen bei der Feier Erik nicht so fahrlässig unterschätzt, sie hätten sogleich Konkurrenzunternehmen in seine
Straße gesetzt. Doch dafür ist es jetzt zu spät. Der Neid der Kollegen schwillt an, er kann dem Friseur aber nicht mehr gefährlich
werden. Die Konkurrenten schaffen sich jetzt auch Jünglinge an, die Klavier spielen, aber es wirkt ein bisschen nachgemacht.
Dafür lassen sie auch wochentags spielen, was sich aber nicht rechnet. Aber das merken sie zu spät. Dem Friseur gefällt diese
aktionistische Ohnmacht sehr. Er ist zufriedener als jemals zuvor. Selbst sein kleines, |47| heimliches Alkoholproblem hat er nun, vom Erfolg berauscht, halbwegs im Griff.
Nützlich, gerade am Anfang einer Unternehmung, ist es, unterschätzt zu werden. Wer auf angenehme Weise bescheiden wirkt, befolgt
eine uralte Inszenierungspraxis, die in all ihrer Niedertracht bereits der französische Moralist François de La Rochefoucauld
im 17. Jahrhundert am Hof beobachtet hat. »Bescheidenheit«, sagt er, »ist eine Tugend, die man vor allem an anderen schätzt.«
Man inszeniert sie gerne, denn man weiß, dass sie gut ankommt, insgeheim ist man naturgemäß ungeheuer eitel. Wie so viele
Tugenden ist Bescheidenheit nur ein »verkleidetes Laster«.
PS: Da viele ahnen, dass die Bescheidenheit oftmals inszeniert ist, wird selten lobend angemerkt: »Der ist so bescheiden!«
Das klingt beinahe schon spöttisch. Man sagt dann lieber anerkennend: »Der ist auf dem Boden geblieben.« Und meint damit:
Jemand mache sich nichts aus seinem Erfolg. Tatsächlich ist diese Haltung zu inszenieren stets vorteilhaft. Es gibt genügend
Menschen, die sie leichtfertig glauben.
PPS: Wer, für alle unübersehbar, erfolgreich ist, sollte die Strategie wechseln. Er sollte dann alles daran setzen, von anderen
überschätzt, nicht unterschätzt zu werden. Letzteres ergibt keinen Sinn mehr. Eine geheimnisvolle Aura möge den Erfolgreichen
umgeben. Sie hält seine Gegner in sicherer Distanz.
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|48| 7 NIEMALS PERFEKT SCHEINEN
E in Romanistikprofessor sagte einmal, als eine Stelle an seinem Institut besetzt wurde, folgende zornigen Sätze: »Mittelmäßige
Kollegen stellen Leute ein, die schlechter sind als sie selbst. Sehr gute Leute suchen immer nach Kollegen, die noch besser
sind als sie selbst.«
Er selbst ist ein sehr guter Romanistikprofessor und war ungehalten darüber, dass die Mehrheit des Kollegiums sich auf einen
mittelmäßigen Bewerber geeinigt hatte. Einen brillanten Kollegen hingegen, den der sehr gute Professor
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