Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen
gemeinsam lesend im Bett herumlagen, noch hinzugefügt, er sei schon ein richtiges Haarwuchswunder. Das gehe ihm nicht
mehr aus dem Kopf. Haarwuchswunder! Er aber, sagte der Bekannte mit, wie mir schien, jetzt wirrem Stolz und nun lauter als
beabsichtigt, werde sich die Haare niemals abrasieren. Niemals! Das sei unmännlich.
Ich rasiere mir auch nicht die Haare, aber ich habe auch gar nicht so viele, ganz wenige kräuseln sich hier und da. Aber ganz
unauffällig und zurückhaltend! Und im Dunkeln sieht man sie gar nicht. Ich bin sozusagen ohne mein Zutun in das neue Schönheitsideal
der Glätte hineingewachsen. So, wie manche Männer jahrzehntelang eine völlig aus der Zeit gefallene Röhrenjeans tragen, bis
sie mit einem Mal, zu ihrer großen Überraschung, wieder der allerneuesten Mode entspricht.
Ich kenne übrigens niemanden mehr, der einen Teppich hat. In meiner Kindheit lief man ja immer nur über ganz weiche Teppiche.
Zieht ein Paar in eine neue Wohnung, in der womöglich noch der Teppichboden des verstorbenen Vormieters ausliegt, dann wird
es diesen mit größter Emsigkeit entfernen. Die Frau, mit Mitte dreißig zur ersten Schwangerschaft finster entschlossen (weshalb
es sich hier vorsorglich auch um eine Vierzimmerwohnung handelt), wird mit Ekel von Milben |230| sprechen, die sich im Teppichboden bestimmt eingenistet hätten. Es riecht so komisch!, wird sie sagen und einigermaßen theatralisch
die Nase rümpfen. Ihr Freund wird daraufhin, aufgrund diverser Erfahrungen in dieser bislang nicht ganz störungsfrei abgelaufenen
Beziehung, nicht den Hauch eines Zweifels anmelden und sogleich nicken, dann den Teppichboden, was übrigens eine Hundsarbeit
ist, da er vor Jahrzehnten mit einem Spezialkleber, der heute diverser Gifte wegen gar nicht mehr verkauft wird, befestigt
worden war, vom Holzboden ablösen und diesen mit der absonderlichsten Hingabe abschleifen, lackieren, polieren usw.
Der Fernseher, den ich erst vor wenigen Wochen abgeschafft habe, da er eines Abends, statt den Tatort zu übertragen, nur ungesund
vor sich hinbrummte, hatte noch diese bierbauchförmige Glaswölbung, die dem menschlichen Körper ähnelte und damit schmeichelte.
Das Gerät, vor dem man saß, war eben nicht sonderlich perfekt, das tröstete und ließ einen mit wenig schlechtem Gewissen in
die Chipstüte greifen. Spiegelglatt sind heute die Fernseher, die Handys, die Böden, frei von jeder Verzierung neue Häuser,
gestrafft werden der Bauch und die Mundwinkel (was verzeihlich ist), rasiert wird die Brust, gemäht wird nur nicht mehr so
häufig der Rasen, wenn mich nicht alles täuscht. Aber das soll uns an dieser Stelle egal sein.
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Informationen zum Buch
Was ist die Liebe? Die schönste aller Täuschungen.Adam Soboczynski erzählt von Männern und Frauen, die sich der hohen Kunst
der Verstellung hingeben, der Intrige, der Blendung - im Beruf und in der Liebe. Wir sehen Menschen in peinlichen und verführerischen
Lebenslagen, Menschen mit Zukunft oder doch nur Vergangenheit."Nichts ist vor dem Witz des Erzählers sicher." taz "Leicht,
geistreich, ein großes Vergnügen." KulturSpiegel"So brüllend komisch und real, dass man meint, jeden einzelnen der Protagonisten
persönlich zu kennen." NEON
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Informationen zum Autor
ADAM SOBOCZYNSKI ist Feuilletonredakteur bei der ZEIT. 2005 erhielt er den Axel-Springer-Journalistenpreis. Schon sein erstes
Buch »Polski Tango« wurde mit Applaus begrüßt, während »Die schonende Abwehr verliebter Frauen« furios besprochen wurde. Zuletzt
erschien von ihm im Aufbau Verlag »Glänzende Zeiten«.
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