Die schonende Abwehr verliebter Frauen oder Die Kunst der Verstellung - Soboczynski, A: Die schonende Abwehr verliebter Frauen
Selbstüberschätzung aufgefasst wird. Ein kurzes Erröten kann niemals
schaden. Selbst ein Satz, der in scheinbarer Aufgeregtheit grammatikalisch nicht einwandfrei endet, stört nicht, solange die
Aussage mühelos verstanden werden kann.
Am Ende wird das Einstellungskomitee zu dem Ergebnis kommen, dass der Bewerber eben nicht aalglatt, nicht perfekt sei. Er
habe Ecken und Kanten, gerade die machten ihn durchaus sympathisch. Und der Bewerber bekommt schließlich die Stelle. Denn
klug ist, wer beizeiten seine Klugheit zu verbergen vermag.
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|52| 8 DEN RECHTEN ZEITPUNKT NUTZEN
E s kommt immer und überall auf den rechten Zeitpunkt an. Liebesgeständnisse, zu früh geäußert, schlagen die begehrte Person
in die Flucht. Derart lange zu zögern, bis der angebetete Mensch enttäuscht das Feld der Liebe verlässt – gleichfalls: höchst
ungünstig. Doch wie nur merken, wann die Gunst der Stunde ergriffen werden soll?
Stellen Sie sich vor, Sie sind Anfang vierzig, eine Frau mit reifer Souveränität und noch blühender Schönheit ausgestattet,
was Ihnen durch allerlei verstohlene Männerblicke in der Tram jeden Tag aufs Neue bestätigt wird. An Ihrer letzten Beziehung
haben Sie sich zerrieben, Sie laborierten an Problemen, die einfach nicht zu lösen waren. Ihre Freunde haben schon seit Jahren
geahnt, dass die Beziehung sich ihrem Ende neigte. Aber sie laborierten weiter, gegen alle Vernunft. Denn gab es, bei all
den heftigen Auseinandersetzungen, nicht auch immer wieder Funken von Hoffnung? Keine Frage: Es war ein viel zu komplizierter
Mann, mit großer Neigung zur traurigen Sinnsuche, nachdem zwei Romane, die er geschrieben hatte, weitestgehend unberührt von
Käufern, eine Weile in wenig frequentierten Nischen großer Buchhandlungen auslagen und dann einfach verschwanden, |53| als wären sie nie geschrieben worden. Die Kritiken waren kränkend, man diagnostizierte einen »manierierten Stil«, schrieb
über das letzte Buch, dass es »die Welt wahrlich nicht braucht«.
Ihr Freund war nach diesen zwei Misserfolgen übellaunig gestimmt. Ungewaschen, einem Gespenst gleich, schlurfte er mit unterdrückter
Unruhe durch die gemeinsame Wohnung, aß kalte Spaghetti und trank mittags schon Wein minderer Güte. Und Sie? Getröstet haben
Sie ihn! Immer wieder. Als wären Sie, die erfolgreiche Layouterin einer renommierten Modezeitschrift, Mutter Theresa! Ja,
so haben Sie sich gefühlt, wie die Mutter aller Mütter. Wie Sie das, bei allem Mitleid, gehasst haben! Ihre beste Freundin
sprach von »Co- Abhängigkeit «. Sie sagte, Sie seien dem Unglück dieses Mannes verfallen »wie ein Junkie dem Heroin«.
Es gab noch dieses eine verlängerte Wochenende in Dresden, da standen Sie mit ihm, dem erfolglosen Autor, eng umschlungen
vor der Frauenkirche. Es nieselte, was schön war; zwischen den Gesichtern: die Schraffur des Regens. Sie scherzten über Passanten,
die in dicke Mäntel gehüllt um ihre Zweisamkeit kreisten wie ferne Planeten. Und nachts im Hotel verschränkten sich nach einer
langen Durstphase noch einmal Arme und Beine ineinander. Heute denken Sie, Sie hätten ihn ohne dieses Glück von Dresden niemals
verlassen. Denn zurückgekehrt in die gemeinsame Wohnung, trank ihr Freund wieder Wein minderer Güte und aß kalte Spaghetti.
Es wurde wieder geredet über seine fehlende Anerkennung! Die Missachtung seines Talents! Den Schmerz über seine in |54| mühsamen Nächten abgefassten Romane, die keiner kaufen wollte. Ach, dieses aufs Neue entflammte Kreisen um seine Probleme
kam einem Treuebruch gleich, einer Auslöschung jeglicher Hoffnung.
Und jetzt, nach dieser sechsjährigen Beziehung und der sich anschließenden Trauerphase (während der Sie selbst dem Alkohol
zugeneigt waren, wenn auch teurem), sind Sie natürlich in Liebesangelegenheiten etwas aus der Übung.
Aber das könnte was werden mit dem Neuen! Vor wenigen Tagen haben Sie ihn auf einer Vernissage kennengelernt und gleich drei
Cocktails getrunken, so anregend war das Gespräch. Ein Mann in Ihrem Alter, jemand, den man vorzeigen kann. Ihm fiel während
des Gesprächs spontan ein Nietzsche-Aphorismus ein (»Die einen werden durch großes Lob schamhaft, die anderen frech«). Und
in seine verwegenen Geheimratsecken konnte man sich richtig vergucken.
Er ist Maler, schon wieder ein Künstler, Sie haben halt eine Neigung zu dieser Männergattung, aber er wirkt ganz aufgeräumt
und verhältnismäßig
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