Die Schule der Spielleute
Er richtete sich auf und sprach salbungsvoll weiter, fast wie in der Messe: ťDa wir nun vollzählig sind, wollen wir Gott danken, dass wir für heute und die kommenden Tage ein Dach über dem Kopf und das tägliche Brot haben.Ť
Seine Stimme klang tief und voll. Ihn singen zu hören musste eine Freude sein. Dennoch hatte Alheit das Gefühl, gerade diese Stimme vor Kurzem erst laut und schrill gehört zu haben.
Elbelin, der die ganze Zeit strahlend an seinen Lippen gehangen hatte, erwiderte: ťGott grüße dich, Meister Wolfram. Wir haben von deiner Kunst gehört und freuen uns auf das, was wir von dir lernen können.Ť
Die Leute am Tisch murmelten zustimmend.
ťNehmt PlatzŤ, sagte Meister Wolfram und gab dem Wirt ein Zeichen, das Essen zu bringen.
ťIst dieser merkwürdige Alte wirklich so berühmt?Ť, fragte Alheit Franz leise.
Er musste kurz überlegen. ťIch glaube, das war vor deiner Zeit. Es heißt, er war in Paris, wo sie diese neue Musik machen. Er soll sogar mit Vitry bekannt sein.Ť
Diesen Namen hatte Alheit immerhin schon einmal gehört. Franz berief sich immer auf ihn, wenn er in einem sonderbaren Zeitmaß spielte, in das Alheit sich nicht hineinfinden konnte. Nun würde sie hören, ob die Musik aus Paris wirklich so wenig ebenmäßig klang.
Alheit fand einen Platz zwischen Franz und Elbelin, gegenüber einer dreiköpfigen Familie. Der Mann war eher klein und rund. Unter seiner braunen Kappe fielen ihm dünne, blassrote Strähnen auf die Schultern. Neben ihm saß ein Mädchen von vielleicht 16 Jahren, das mit seiner Mutter tuschelte. Sein Haar hatte die gleiche unglückliche Farbe wie das des Vaters und war in einem Netz aus schmalen blauen Bändern zusammengefasst. Die Mutter trug eine reich gefältelte Haube, die außer dem strengen Gesicht nichts sehen ließ. Alle drei hatten die Oberarme ihrer bunten Gewänder mit einem weißen Streifen abgesetzt, der an der Rückseite noch weit nach unten hing. Obwohl Alheit die Ohren spitzte, verstand sie nicht einmal vereinzelte Wörter. Die drei schienen eine ihr fremde Sprache zu sprechen.
Der kleine Mann unterhielt sich gedämpft mit dem Meister. Dieser winkte ihm jedoch, still zu sein, als das Essen aufgetragen wurde, und sagte schnell ein lateinisches Tischgebet auf.
Nach dem Amen holten die Leute Schalen und Löffel heraus und nahmen sich von dem Hirsebrei mit Grünkohl. Eine Weile hörte man nur die Löffel klappern. Der Wirt kehrte mit einer Kanne gewürzten Weines wieder und füllte die Becher der Gäste. Zumindest was die Herberge anging, hatten sie es gut getroffen.
ťWie bei einem Leichenschmaus sitzt ihr daŤ, beschwerte sich Lene. ťSeid ihr nicht alle Spielleute? Warum hat niemand von euch einen Schwank zu erzählen?Ť
Tamas lachte. ťIst wahr!Ť
Seine Nachbarin wandte sich zu ihm um: ťWarum erzählst du uns nicht etwas?Ť Sie sprach, als hätte sie den Mund noch voll mit heißem Brei.
Alheit fragte sich, wie sie mehrere Wochen lang mit Leuten leben und lernen sollte, die solche Mühe hatten, sich zu verständigen.
Tamas stellte sich vor und vergaß auch nicht, den Bären zu erwähnen, der im Stall schlief.
Das Mädchen kreischte, doch seine Mutter brachte es gleich zum Schweigen. Dann sagte sie: ťIch bin Marjorie Harper, meine Tochter Katherine, mein Mann Robert Piper. Wir kommen von England.Ť
ťSeid ihr durch Flandern gereist?Ť, unterbrach Elbelin. Als die Frau bejahte, fragte er sie über die jüngsten Ereignisse nach dem Aufstand in Gent aus. Offenbar war er schon einmal dort gewesen.
Unterdessen sorgte Alheit dafür, dass Gottfrid und er noch eine zweite Portion Brei bekamen, ehe die Schüssel ganz leer war.
ťAber nun erzähl uns von dir, MeisterŤ, wandte sich Elbelin zu guter Letzt an den Alten, den er zuvor Meister Wolfram genannt hatte. ťWo hast du die letzten Jahre zugebracht?Ť
ťMan nennt mich Wolfram Lautenschläger.Ť
Nach einem Augenblick unbehaglicher Stille sagte Franz: ťDiesen Namen habe ich doch schon gehört. Bist du nicht nach Paris gezogen, um bei den berühmten Meistern dort zu lernen?Ť
Wolfram nickte. ťIch habe beim Reichstag in Nürnberg gespielt und bei der Hochzeit des Herrn Heinrich von Kärnten.Ť Leiser fügte er hinzu: ťZuletzt am Hof des Grafen Eberhard von Katzenelnbogen.Ť
ťDa bist du weit herumgekommen und hast viel erfahrenŤ, sagte Elbelin. ťWir Jungspunde können sicher noch viel von dir lernen.Ť
Wolfram nickte. ťVor allem die neue Musik, wie sie jetzt in Frankreich gespielt
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