Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die schwarze Feder

Die schwarze Feder

Titel: Die schwarze Feder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
Nähe. Einmal hat er mir etwas geschenkt … hat mir die Nacht gezeigt und ihre Geheimnisse. Aber das ist eine lange Geschichte, die erzähle ich dir ein andermal. Die Gurken sind lecker. Sie haben Biss.«
    »Sie sind knackig«, sagte Howie.
    »Stimmt. Das ist genau der passende Ausdruck. Knackig.«
    Es hatte nicht den Anschein, als wäre der Vogel vom Picknick der beiden angelockt worden. Er blieb auf der entfernten Ecke der Brüstung hocken und putzte sich mit dem Schnabel eifrig das Gefieder.
    Als sie satt waren und die Reste zusammenpackten, fragte Mr. Blackwood: »Wollte dein Dad etwa nicht, dass deine Mutter das Sorgerecht für dich bekommt?«
    Howie war sprachlos über den tiefen Einblick, den die Frage verriet.
    In das Schweigen des Jungen hinein sagte Mr. Blackwood: »Wenn er seinen Sohn nicht haben konnte, dann sollte niemand ihn haben. So was ist reine Eifersucht, und die ist eine Sünde. Mit Neid hat es auch zu tun. Und mit Stolz und mörderischem Hass. Nichts, was du getan hast oder hättest tun können, hätte irgendetwas daran geändert, was geschehen ist. Mein Vater mit seinem Rohrstock und dein Vater mit dem Feuer haben dasselbe getan, bloß war deiner noch schlimmer als meiner. Das Gericht hatte wohl angeordnet, dass er nicht in deine Nähe kommen darf, stimmt’s? Wie hat er es dann geschafft, dich in die Finger zu kriegen?«
    Nach einer Weile kam Howie zu dem Schluss, es sei besser, alles zu erzählen, statt es für sich zu behalten. »Er hat mich aus dem Haus der Frau geholt, die auf mich aufgepasst hat, während Mom bei der Arbeit war.«
    »Wo hat er dich hingebracht?«
    »Er hat gesagt, wir würden in einen Vergnügungspark fahren. Aber es war ein Motel. Da hat er gewartet, bis ich eingeschlafen war.«
    »War es Benzin?«
    »Ich bin aufgewacht.« Howie holte tief Luft, einmal und dann noch einmal. »Konnte kaum atmen.« Die Erinnerung an den Benzingeruch war erstickend. Howie fand das Atmen fast so mühsam wie damals. »Wegen der Dämpfe«, sagte er, »der Benzindämpfe.«
    Mr. Blackwood war so geduldig, als wüsste er irgendwie, dass Howie noch nie mit jemandem über seine Verstümmelung gesprochen hatte, nicht einmal mit seiner Mutter.
    Howie beobachtete, wie der Rabe den Kopf unter den Flügel steckte und in der Sonne einzuschlafen schien. »Dann das Streichholz«, sagte er. »Später hat er den Leuten gesagt … er hat gesagt, er wollte sich auch anzünden. Mich und sich zusammen. Aber dann hätte er’s doch nicht geschafft.«
    »Weil er’s nie tun wollte«, sagte Mr. Blackwood. »Glaub bloß nicht, dass er es je vorgehabt hat.«
    »Tu ich auch nicht. Er lügt. Er ist ein Lügner.« Komisch – dass das stimmen konnte und trotzdem wehtat, den eigenen Vater als Lügner zu bezeichnen.
    »Du hast dein linkes Auge gerettet, hast es mit der Hand geschützt, als die Flammen hochgeschossen sind. Dadurch hast du ein paar Finger verloren, aber sonst wärst du auf einem Auge blind.«
    »Das ganze Benzin … das war auf meiner linken Seite.«
    »Du bist ein kluger Junge und tapfer obendrein, dass du so schnell gehandelt hast und dich trotz der Schmerzen so unter Kontrolle hattest.«
    »Ich bin nicht tapfer. Ich hab furchtbare Angst gehabt. Manchmal hab ich die noch immer. Wenn ich mir vorstelle … dass er eines Tages rauskommt.«
    »Ich würde alles, was ich habe, darauf verwetten, dass er im Gefängnis stirbt, auf die eine oder andere Weise.«
    Howie wünschte seinem Vater zwar nicht den Tod, aber was er da hörte, machte ihm ein wenig Mut, vor allem, da Mr. Blackwood sich so anhörte, als wüsste er, wovon er sprach.
    »Der Mann vom Motel … der hört mich und kommt sofort gerannt. Ich brenne da schon, und er hat diesen Feuerlöscher in der Hand. Mein Dad versucht, ihn aufzuhalten, aber er schlägt meinen Dad nieder. Das Zeug aus dem Feuerlöscher – kalt riecht das. Hat mich gerettet. Ich bin bewusstlos geworden. Als ich aufwachte, war ich blind, aber das waren bloß die feuchten Wattebäusche auf meinen Augen. Mom hat meine gute Hand gehalten. Im Krankenhaus, wissen Sie … da hat es zuerst gar nicht wehgetan. Deshalb habe ich gedacht, es ist vorbei. Aber es war erst der Anfang. Es war der Anfang von … von allem.«
    Nachdem sie alle Reste bis auf das Cola und das Eis in einer Tüte verstaut hatten, lehnten die beiden sich wieder mit dem Rücken an die Brüstung. Mit den drei verkrümmten Fingern seiner linken Hand drückte Howie sich den kühlen Becher an sein vernarbtes Gesicht.
    Der Kopf

Weitere Kostenlose Bücher