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Die schwarze Feder

Die schwarze Feder

Titel: Die schwarze Feder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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hatte er dreiundzwanzig Dollar Restgeld dabei. Eine Scheibe jedes Sandwichs war innen mit Mayonnaise bestrichen, die andere mit Senf; dazwischen befanden sich Roastbeef, Emmentaler, Salat und Tomatenscheiben.
    Als sie auf dem gefliesten Dach saßen, den Rücken an die Brüstung gelehnt, Kartoffelchips und Kekse zwischen sich, sagte Mr. Blackwood: »Das sind wirklich gute Sandwiches. Muss ja ein toller Laden sein. Wie heißt er denn? Howie’s Sandwiches?«
    »Wie haben Sie das rausgekriegt?«
    »Die Sandwiches haben dich nicht verraten, die sind absolut professionell. Es war der Plastikbeutel mit dem Eis. So zuvorkommend ist man in keinem Laden. Und dann die dreiundzwanzig Dollar Restgeld. Was du da angeschleppt hast, kann man nie und nimmer für sieben Dollar kaufen. Noch nicht mal für zweimal sieben Dollar.«
    »Jetzt wollen Sie Ihre sieben Dollar wohl wiederhaben?«
    »Nein, nein, die hast du dir auf jeden Fall verdient. Da bin ich doch äußerst günstig weggekommen. Die Sandwiches sind so gut, dass ich mir überlege, ob du nicht noch mindestens zehn Dollar mehr bekommen solltest. Aber was hat deine Mutter gesagt, als du mit so einem Picknick losgezogen bist?«
    »Mom ist den ganzen Tag bei der Arbeit. Sie arbeitet echt hart. Eigentlich möchte sie, dass jemand auf mich aufpasst, aber das will ich nicht, und sie kann sich’s sowieso nicht leisten. Außerdem weiß ich, wie blöd es ist, wenn jemand auf einen aufpasst.«
    »Du meinst Corrine? So heißt doch deine Schwester, nicht wahr?«
    »Genau. Die hat einen Ferienjob bei Dairy Queen und ist auch den ganzen Tag weg. Also hat niemand gesehen, was ich in der Küche gemacht habe.«
    »Die Chips sind auch gut«, sagte Mr. Blackwood.
    »Saure Sahne und Zwiebel.«
    »Das ist, als wäre der Dip gleich in die Chips mit eingebaut.«
    »Erdnussflips mag ich auch.«
    »Wer mag die nicht?«
    »Aber wir hatten keine«, sagte Howie.
    »Zu Roastbeefsandwiches sind die Chips genau das Richtige.«
    Eine Weile sagte keiner der beiden etwas. Die Chips schmeckten salzig, das Cola war kalt und süß und die aufs Dach scheinende Sonne warm, aber nicht zu heiß. Howie staunte, wie angenehm es war, gemeinsam mit Mr. Blackwood zu schweigen. Er verspürte keinerlei Bedürfnis, irgendetwas sagen oder aufpassen zu müssen, was er nicht sagte. Ron Bleeker, der Howie von allen Kindern in der Stadt am gemeinsten und hartnäckigsten quälte, gab ihm viele Spottnamen, darunter »alte Hackfresse«, und meinte, er sei auf Lebenszeit Präsident vom Hackfressenklub. Mr. Blackwood hatte das Wort Hackfresse wahrscheinlich schon unzählige Male gehört. Man hätte also sagen können, dass gerade ein Treffen des Hackfressenklubs stattfand – und das war eine coole Sache hier oben auf dem Dach, hoch über allen Leuten, mit gutem Essen und guter Gesellschaft; und keiner der Anwesenden war bloß deshalb besser als ein anderer, weil er anders aussah.
    Nach einer Weile sagte Mr. Blackwood: »Als ich ein Junge war, hat mein Vater mir gesagt, ich solle mit niemand sprechen, und wenn ich’s doch getan habe, hat er mich immer gezüchtigt.«
    »Was heißt das – gezüchtigt?«
    »Er hat mich mit einem Rohrstock verprügelt.«
    »Bloß weil Sie mit jemand geredet haben?«
    »Eigentlich hat er’s getan, weil ich so hässlich war und er sich für mich schämte.«
    »Das ist aber unfair«, sagte Howie, und zum ersten Mal empfand er Mitgefühl mit Mr. Blackwood, der ihm bis zu diesem Augenblick immer noch ein klein wenig Angst eingejagt hatte, obwohl Howie nicht recht wusste, warum. Vor allem aber beneidete er ihn, weil er so groß und stark und selbstsicher war.
    »Wenn dein Vater etwas Gemeines tut«, sagte Mr. Blackwood, »dann meinst du, zum Teil müsstest du selbst daran schuld sein, weil du ihn irgendwie enttäuscht hast.«
    »Haben Sie das echt gedacht?«
    »Als er mich die ersten paar Male gezüchtigt hat, ja. Später nicht mehr. Da hab ich erkannt, dass er bloß ein schlechter Mensch war. Selbst wenn ich der gehorsamste Junge auf der Welt gewesen wäre – und der hübscheste – , hätte er mich verprügelt. Irgendeinen Grund hätte er schon gefunden.«
    Ein großer schwarzer Vogel kreiste zweimal über dem Dach, bevor er auf einer Ecke der Brüstung landete und dort würdevoll stehen blieb.
    »Das ist keine normale Krähe«, sagte Mr. Blackwood, »das ist mein Rabe.«
    Howie war beeindruckt. »Sie haben einen Raben als Haustier?«
    »Nicht als Haustier. Er ist mein Beschützer. Bleibt immer in meiner

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