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Die Schwester

Die Schwester

Titel: Die Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandor Marai
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nichts.
Ich habe es überstanden, nicht wahr?«
    Schnell und begeistert antwortete er: »Sie haben es überstanden,
natürlich haben Sie es überstanden. Von solchen Kunstfehlern erholt man sich
sofort, vollkommen. Oder man erholt sich nie. Sie haben es überstanden.«
    Â»Ich weiß«, sagte ich. »Deshalb brauche ich keinen Schlafwagen. Aber
ich brauche ihn auch aus anderem Grund nicht. Ich will unterwegs in Pistoia
aussteigen.«
    Er richtete sich auf. Faltete die Hände auf dem Rücken. So stand er
und sagte feierlich: »Unmöglich.«
    Â»Warum?«, fragte ich ungeduldig. »Das ist nur natürlich. Ich will sie
beruhigen, dass mir nichts fehlt. Sie hat es gut gemeint«, sagte ich stammelnd.
    Â»Gut, ja«, auch er stammelte. »Alle haben es gut gemeint. Aber Sie
kennen die Gewohnheiten des Ordens nicht, Maestro. Das Ordenshaus können Sie
nicht mehr betreten. In der Welt, in ihrer Welt, herrscht eine sonderbare,
strenge Ordnung. Sie sprechen über nichts. Alles geschieht stumm. Manche
verlässt das Ordenshaus eines Tages für immer. Aber auch dann sorgen sie für
sie. Sie sorgen für alle, die irgendwann zu ihnen gehört haben. Und manche
kehren eines Tages zurück, und dann wird das Tor für immer hinter ihnen
geschlossen. Und wer so zurückgekehrt ist, den darf man nicht mit Besuchen
stören. Auch nicht wenn der Besucher …«
    Er brach ab. Ich beendete seinen angefangenen Satz: »Von so weit
zurückkommt wie ich?«
    Eifrig nickte er. »Si, si« , sagte er. »So
ist es. Auch dann nicht.«
    Ich wollte ihn unterbrechen. Aber jetzt sprach er beinahe
begeistert, mit einem grotesken Eifer, als wollte er nicht, dass ich zu Wort
käme, lieber wollte er alles sagen, ich sollte ihn nur nicht anflehen, nicht
von dem »Kunstfehler« sprechen, nicht nach Pistoia reisen. Ein beredtes
Wohlwollen trieb ihn.
    Â»Nein, auch dann nicht«, wiederholte er. »Davon kann nicht die Rede
sein. Ein hervorragender Orden. Große Disziplin herrscht dort in Pistoia hinter
den hohen Gartenmauern. Dort gibt es eine Oberin, eine großartige Frau! Sie
versteht sich auf alles und jeden. Auf die Kranken, die nicht mehr gesund sein
wollen, und auf die Gesunden, die gern krank werden, weil sie die Verantwortung
für Gesundheit und das Leben nicht ertragen. Denn Leben ist eine große
Verantwortung«, sagte er ernst und feierlich und hatte dabei etwas von der
Erhabenheit und Demut eines Pennälers.
    Noch nie hatte ich ihn so gesehen; argwöhnisch schaute und lauschte
ich, ob er nicht etwa spottete. Aber nein, er sprach im Ernst, die Hände über
der Brust verschränkt, über seinem weißen Kittel, blickte er ab und an
kurzsichtig zur Decke wie ein Priester, wenn er predigt.
    Â»O, Leben ist eine außerordentliche Verantwortung. Bedenken Sie nur,
unter Menschen zu leben! Viele ertragen das nicht. Wie viele Interessen! Die
Langeweile, die Eitelkeit, der Ehrgeiz, die Gefühle, und hinter allem der Tod.
Wer erträgt das ›Gesundsein‹, immer, ein Leben lang? Wenige nur, sehr wenige«,
sagte er besorgt und schüttelte den Kopf, als jammerte er sorgenvoll über den
Zustand der hoffnungslosen menschlichen Art. »Die Oberin kann das. Lange hat
sie Kranke gepflegt, jetzt leitet sie das Ordenshaus, gibt auf siebzig
Schwestern acht … Eine große Aufgabe!«, wiederholte er mit lächerlichem Ernst,
mit wehleidiger Anerkennung. »Und wenn eine heimkehrt, weil sie müde oder krank
ist oder weil etwas in ihrem Leben geschehen ist – denn auch die Schwestern
sind nur Menschen, Frauen, nicht wahr? –, dann nimmt die sie Oberin auf. Sie
selbst beschäftigt sich dann mit ihr. Und dann darf kein Besucher das schöne,
ernste Haus in Pistoia stören. Bedenken Sie nur, Maestro, Sie kommen morgen
Nachmittag ins Ordenshaus, werden vor die Oberin geführt und beginnen zu reden,
und Sie sagen, Sie möchten gern eine Krankenschwester namens Charissima sehen,
die Sie gepflegt hat, bedenken Sie doch, was die Oberin Ihnen antworten kann?
Sie kann nur antworten: Mein Herr, Bruder, gehen Sie Ihrer Wege, mit Gottes Gnade!
Stören Sie Charissima nicht, mein Herr! Etwas anderes kann sie nicht sagen,
nicht wahr? Wenn wir nachdenken, können wir uns nicht vorstellen, dass sie
etwas anderes sagen könnte. Und wenn sie gestattete, dass Sie Charissima sehen?
Was könnten Sie ihr sagen? Wenn jemand einmal

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