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Die Schwestern von Sherwood: Roman

Die Schwestern von Sherwood: Roman

Titel: Die Schwestern von Sherwood: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claire Winter
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verbracht. Der liebe Gott wollte ihr wohl die Zeit geben, noch einmal darüber nachzudenken, was sie getan hatte«, berichtete Emily Barrington. »Edward hat danach die meiste Zeit in Sherwood verbracht. Er fühlte sich Amalia dort nahe«, sagte sie traurig. »Ich war damals schon verheiratet. Es war ein wenig gespenstisch, wenn ich nach Sherwood kam. Oft hat er sich die Bilder, die sie gemalt hatte, angesehen und schien mit den Gedanken immer weit fort. Er kümmerte sich zwar noch um die Verwaltung seines Besitzes, aber sonst blieb er ein einsamer Mensch, der von einer tiefen Todessehnsucht erfüllt war.« Einen Augenblick lang glitt der Blick von Emily Barrington in die Ferne, als würden die Jahre wieder vor ihren Augen auferstehen. »Als der Erste Weltkrieg ausbrach, meldete er sich trotz seiner fast fünfzig Jahre freiwillig als Offizier. Ich weinte fürchterlich, als er sich verabschiedete, weil ich wusste, dass er sich nichts mehr wünschte, als dass irgendeine Kugel seinem Leben endlich ein Ende setzen würde. Immer wieder meldete er sich für die waghalsigsten Einsätze freiwillig, doch er überlebte. Die Ironie des Schicksals wollte es, dass er später sogar zweimal für seine Tapferkeit ausgezeichnet wurde.«
    Melinda hörte ihr betroffen zu. Wie sehr musste ihr Großvater gelitten haben!
    »Nach seiner Rückkehr aus dem Krieg fing Edward abermals an, nach Amalia zu suchen. Es war ein Wechselspiel von kurzen Phasen, in denen er auflebte, nur um dann erneut für Monate in seine alte Gleichgültigkeit zurückzufallen. Ende der Dreißigerjahre, einige Jahre vor seinem Tod, fand er endlich eine Spur von Amalia. Er hatte noch einmal Kontakt mit dieser Organisation in London aufgenommen, die Gehörlose unterstützte, und er traf einen Arzt, mit dem er damals auch direkt nach Amalias Verschwinden Kontakt gehabt hatte.«
    Melinda schluckte. Sie ahnte, dass es sich um Dr. Stevenson gehandelt haben musste.
    »Der alte Mann schien Mitleid mit Edward zu haben und erzählte ihm schließlich, dass Amalia 1897 mit einer englischen Familie nach Berlin gegangen und dort 1920 an einer Lungenentzündung verstorben sei. Edward erfuhr auch, dass sie ein Kind bekommen hatte, eine Tochter. Amalia hatte sie noch in England zur Welt gebracht, und er ahnte, dass das Kind von ihm sein musste. Dieses Wissen veränderte ihn sehr. Es schenkte ihm unerwartet Frieden«, berichtete Emily. Sie lächelte leicht. »Er begann, nach dem Kind zu suchen. Doch es war schwierig. Der Zweite Weltkrieg war inzwischen ausgebrochen, und Caroline, deine Mutter, hatte geheiratet und einen anderen Namen. England erklärte Deutschland den Krieg, und obwohl Edward es noch gelang, Carolines neuen Nachnamen in Erfahrung zu bringen, und er erfuhr, dass sie 1920 – im selben Jahr, als Amalia gestorben war – eine Tochter zur Welt gebracht hatte, war eine Kontaktaufnahme unmöglich.«
    »Er wusste, dass es mich gibt?«, sagte Melinda tonlos. Wäre der Krieg nicht ausgebrochen, hätte sie ihren Großvater vielleicht sogar noch persönlich kennengelernt, wurde ihr klar.
    Emily nickte. »Ja, das tat er. 1944 lag dein Großvater schließlich im Sterben. Nur wenige Wochen zuvor war ihm durch einen alten Kontakt in Berlin die Information zugespielt worden, dass deine Mutter Caroline verstorben war und es nur noch dich gab.«
    Melinda erinnerte sich an den schrecklichen Tag, daran, wie sie weinend am Bett ihrer Mutter gesessen hatte und wie furchtbar einsam sie sich gefühlt hatte.
    Emily schenkte ihr einen warmen Blick, als spürte sie, was in ihr vorging, und hielt für einen Moment in ihren Worten inne.
    »Als Edward sein Ende nahen fühlte, ließ er mich und Rebecca und ihre beiden Kinder, Henry und Charlotte, zu sich kommen. Er hatte sein Testament geändert«, fuhr sie fort. »Dein Großvater bat uns, nach dir zu suchen, sobald es die politischen Umstände wieder erlaubten. Er hoffte, dass du den Krieg unbeschadet überstehen würdest. Er starb in dem Glauben, dass wir mit dir Kontakt aufnehmen würden.«
    Melinda starrte sie ungläubig an. Emily hatte voller Schuldbewusstsein den Blick gesenkt.
    »Aber das taten wir nicht … Du musst das verstehen. Es erschien uns allen damals unmöglich – eine Deutsche. Eine Frau aus einem Land, mit dem wir uns im Krieg befanden und die Edward noch dazu nie gesehen hatte. Er war mit Amalia ja nicht einmal verheiratet gewesen.« Aus Emilys Stimme klang noch jetzt das schlechte Gewissen. »Er sei nicht zurechnungsfähig

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