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Die Seele des Ozeans

Die Seele des Ozeans

Titel: Die Seele des Ozeans Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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dieser einen und in keiner anderen. Oder wenigstens hoffte sie es, denn es waren die schönsten Momente ihres Lebens gewesen.
    „Wenn es ein Junge wird“, hatte sie in sein Ohr geflüstert, „nennen wir ihn Kjell.“
    „Wieso Kjell?“, fragte Angus. „Was heißt das? Ist das irisch?“
    „Keine Ahnung. Ich finde den Namen einfach schön.“
    „Und wenn wir ein Mädchen bekommen?“
    Sie hatte gelacht, sich noch fester an ihn geschmiegt und ihre Beine um seine Hüften geschlungen. „Bekommen wir aber nicht. Ich weiß es.“
    Komm!
    Fiona blickte sich noch einmal um. Über ihr auf den Klippen stand das Haus, in dem sie geboren worden war. Seit vielen Jahren lebten sie und Angus gemeinsam darin. Es war alt, voller Geschichten und Schicksale. Den Steinen, aus denen es vor Jahrhunderten gebaut worden war, hatten die Elemente ihr wahres Gesicht gegeben: moosige, verwitterte Mienen, die sich mit Erinnerungen vollgesaugt hatten.
    Das Haus hatte ihre Geburt gesehen und würde ihren Tod sehen. So wie es viele Geburten und Tode gesehen hatte. Nirgendwo waren sich beide Welten so nah wie auf dieser Insel. Nirgendwo umarmten sie sich so innig.
    „Ich liebe dich“, flüsterte sie. „Vergiss mich nicht.“
    Komm … komm zu uns …
    Das Licht war fast bei ihr. Als es einen leuchtenden Arm nach ihr ausstreckte, sah Fiona, dass sich die Wolke aus winzigen Wesen zusammensetzte. Jedes einzelne glomm wie ein kleiner Stern, und als sie sich von ihnen umhüllen ließ, fühlte es sich an, als tauchte sie in die Seele des Ozeans ein. Zwei Schritte. Drei Schritte. Endlich umhüllte der Glanz ihren ganzen Körper.
    Ich bin unter Wasser. Ich kann nicht mehr atmen.
    Sie dachte es ohne jede Furcht, denn die hauchzarten Wesen sponnen sie warm und behütend ein. Während Fiona in die Tiefe sank, konnte sie sehen, wie sich ihr Körper in silberblaues Licht verwandelte. Ihr Bewusstsein schwand.
    Die kristallreine Lebendigkeit, die von den Wesen ausging, wurde nach und nach ihr ganzes Sein. Alles drehte sich in einem endlosen Kreis aus Verlust und Wiederkehr. Die Strömungen des Meeres, das Leben und der Tod, selbst das Universum. Fiona konnte es spüren, die unveränderliche Kraft aller Existenzen, die wie der Schlag eines einzigen riesigen Herzens war, aus dem sie alle kamen und in das sie alle zurückkehren würden. Und während sie sich auflöste und ein Teil der Seele wurde, die sie umhüllte, begriff sie es. Das einzige und große Geheimnis. Die Frage, die sie sich unzählige Male in ihrem Leben gestellt hatte: Wohin gehen wir? Nein, sie empfand kein Bedauern.
~ Angus ~
    Das Gefühl, etwas Furchtbares sei geschehen, ließ Angus aus dem Schlaf aufschrecken. Sein Blick huschte hin und her, während er versuchte, den Nachhall eines Albtraums abzuschütteln. Doch er griff nur noch fester zu. Das Bett neben ihm war leer – und Fiona fort. Genauso wie in seinem Traum. Angus dachte nicht einmal daran, Morgenmantel und Schuhe anzuziehen. In kurzer Schlafanzughose rannte er aus dem Haus, stürmte die Klippen entlang und schrie sich die Seele aus dem Leib.
    „Fiona! Wo bist du? Fiona!“
    Sie war merkwürdig gewesen in den letzten Tagen. Launisch und ruhelos. Wahrscheinlich lag es an dem Kind, das nächste Woche zur Welt kommen würde. Ausgerechnet jetzt, wo sie Schutz besonders nötig hatte, fiel ihr dieser Unsinn ein. Nächtliches Schwimmen im eiskalten Meer. Stundenlange Wanderungen, die ihre Lippen blau verfärbten und ihre Zähne klappern ließen. Fast allnächtliches Schlafwandeln.
    „Fiona!“
    Bestimmt war sie unten am Strand. In den letzten beiden Wochen hatte er sie achtmal dort aufgelesen, schlotternd und durchgefroren, aber mit einem Strahlen in den Augen, das ihm eine Heidenangst eingejagt hatte.
    „Fiona!“
    Angus stolperte mit rudernden Armen den Hang hinunter, der in einem halbmondförmigen Sandstrand endete. Es war der Lieblingsplatz seiner Frau. Schon als kleines Kind hatte sie dort zwischen Steinen, Tang und all dem verrottendem Zeug gespielt, das der Ozean anspülte. Mondschein übergoss die schroffe Küste mit kaltem Licht.
    Doch Fiona war nirgendwo zu entdecken. Das letzte Mal hatte sie wie eine Nixe mitten in einem Haufen aus angespültem Seetang gesessen. Die Nacht davor war sie ihm auf wackeligen Beinen entgegengekommen. Aber jetzt sah er nichts.
    „Fiona! Fiona!“
    Er taumelte am Saum der Brandung entlang. War sie noch dort draußen? Versteckte sie sich vielleicht oder war sie längst tot? Nein, Unsinn. Er

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