Die Seelenjägerin - 1
fühlten.
Dem Schicksal sei Dank, dass es keine Frauen unter uns gibt , dachte Colivar. Sie würden unsere Gesellschaft in Stücke reißen.
Dann wanderte die Hand, die seine Wange streichelte, an andere Stellen weiter, und er überließ sich dem Augenblick und den Freuden, die ihm eine Morati-Frau zu bieten hatte.
Der Nachtwind fegte vom Göttermeer herein und brachte den Geruch nach Salz und Seetang mit. Er bewegte die Tüllgardinen, als er in das Schlafgemach eindrang, und ließ die feinen Seidenportieren erschauern, die zum Schutz vor Insekten das breite Bett umgaben.
Colivar lag lange wach, prüfte den Wind mit der Zunge und entnahm ihm seine Botschaft. Noch einen Tag, und er würde so stark sein, dass die Schiffe durch die Meerenge segeln konnten. Dann wäre der Hafen leer, Sankara könnte sich auf den nächsten Besucheransturm einrichten, und seine Herrscherin würde ihr Haus für den Besuch weiterer Magister bereit machen, die den neuesten Klatsch mit ihr teilen, Nachrichten für ihre Brüder hinterlegen und sich vielleicht ein wenig von den Intrigen der unangenehmeren Monarchen erholen wollten.
Die Welt wird dunkler werden, wenn diese Morata stirbt , dachte er.
Wann würde es wohl so weit sein? Sie herrschte bereits seit vier Jahrzehnten über Sankara, aber niemand wusste genau, wie alt sie gewesen war, als sie hierher kam. Er glaubte nicht, dass einer der Magister ihr wahres Alter kannte, jedenfalls sprach sie nie darüber, sondern hüllte sich lieber in geheimnisvolles Schweigen.
Sie war jung. Das war alles, was andere Morati sahen. Ewig, übernatürlich jung. Anfangs wäre das nicht weiter aufgefallen – jede Hexe, die bereit war, den Preis für einen jugendlichen Körper zu bezahlen, konnte die entsprechenden Veränderungen vornehmen –, doch als die Jahre vergingen, ohne dass sie eines frühen Todes starb, als sie mit den gesündesten Sterblichen erst gleichzog und sie dann überlebte und immer noch keine Alterserscheinungen zeigte, musste jedem klar geworden sein, dass hier mehr als Hexerei im Spiel war.
Er fragte sich, ob jemand aus ihrer nächsten Umgebung die Wahrheit erriet: dass nämlich jeder Magister, der sie besuchte, ebenso bereitwillig, wie er ihr andere Bitten erfüllte, auch die Schwächen des Alters an ihrem Körper beseitigte. Dass die Macht, über die die »Hexenkönigin« verfügte, gar nicht ihre eigene war und sie dafür keine Sekunde ihres eigenen Lebens zu opfern brauchte. Wie lange mochte dieser Handel schon gehen? Hatte sie vor ihrer ersten Affäre mit einem Magister das Leben einer Hexe geführt, oder hatte sie gar nicht daran gedacht, ihre Gabe einzusetzen, bevor sich ein magischer Gönner gefunden hatte? Fragen, die er nicht beantworten konnte, ohne ihr wahres Alter zu kennen.
Dennoch bist du eine Morata, meine Königin, und der Zeitpunkt wird kommen, da auch all unsere Magie dich nicht mehr retten kann.
Er leitete gestohlenes Seelenfeuer in seine Fingerspitzen, berührte mit der Hand sachte ihr Gesicht und strich über die Stellen, wo die ersten Spuren des Alterns sichtbar werden wollten. Unter seinen Fingern verschwanden die zarten Krähenfüße, und die leichten Falten an den Mundwinkeln glätteten sich. Sie seufzte im Schlaf und drehte ein wenig den Kopf, wachte aber nicht auf. Colivar entzog seinem fernen Konjunkten noch mehr von dessen Kraft und badete sie darin wie in einem Jungbrunnen. Dabei war ihm durchaus bewusst, welche Ironie darin lag, den Tod eines Moratus in Kauf zu nehmen, um einem anderen eine Wohltat zu erweisen. Ob sie wohl im Schlaf spürte, was er für sie tat, ob ihr womöglich gar ein Albtraum in Andeutungen den Preis für ihre Schönheit verriet? Diese Fragen stellte er sich jedes Mal wieder, aber er ließ sie nie laut werden.
Als er ihr jugendliches Aussehen so weit wie möglich wiederhergestellt hatte, nahm er all seine Macht zusammen und suchte im Inneren ihres Körpers nach weniger deutlichen Spuren des Alterns. Er stärkte die schwächer gewordenen Muskeln. Er beseitigte Hindernisse, die den Blutfluss stocken ließen. Er entdeckte eine Unregelmäßigkeit in ihrem Herzschlag und stellte den Takt wieder her. Eine Wucherung an ihren Geschlechtsteilen löste er ab und regte ihren Körper so lange an, bis er das entartete Gewebe restlos aufgesogen hatte.
Diesen Dienst hatte er ihr, ebenso wie seine Brüder, schon oft erwiesen. Doch er ging regelmäßig noch einen Schritt weiter, und davon hatte er ihr nie erzählt. Auch jetzt folgte er den
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