Die Seelenjägerin - 1
zu heftig, um sie verbergen zu können … aber würde er ihre Gefühle überhaupt erkennen? Konnte er verstehen, warum sie so empfand? In seinen Augen hatte er nichts Unrechtes getan. Er spielte nur das Spiel, das die Reichen und Mächtigen mit den unteren Schichten schon immer gespielt hatten. Für Geld konnte man alles kaufen, auch ein Menschenleben. Warum diesen Grundsatz nicht auch auf ihren Fall anwenden?
»Ihr wollt mich zu Eurer Hure machen«, murmelte sie.
Es wurde still im Raum. Vielleicht hatte er die beißende Schärfe in ihrer Stimme gehört und die Warnung erkannt. Das wäre sein Glück. Sie könnte mit dem Zorn in ihrem Inneren jederzeit einen magischen Feuersturm entfesseln, und die Versuchung war groß. Gewiss, dieser Ravi war nur einer von vielen Narren – es gab Millionen wie ihn auf der Welt –, aber es wäre doch eine Wohltat, diesem einen geschminkten Pfau das Schicksal zu bereiten, das er verdiente! Wenn sein Leben zu Ende ging und er mühsam seinen letzten Atemzug tat, könnte sie ihn wissen lassen, wen und was er beleidigt hatte, um das Entsetzen in seinen Augen zu genießen.
Sie zwang sich, die Augen zu schließen, tief Luft zu holen und den Wunsch zu unterdrücken. Du hast mir verschwiegen, Aethanus, dass beim Kampf um die Beherrschung der Macht das Schwierigste sein würde, mich selbst zu beherrschen.
Ravis Angebot war kränkend, aber es war auch verführerisch. Das war die hässliche Wahrheit. Nicht aus den Gründen, die ihr der Kaufmann genannt hatte, auch nicht aus Gründen, die er jemals verstehen könnte, sondern weil sie nach dem Kampf im »Viertel« eingesehen hatte, dass sie noch nicht bereit war, ganz allein die Welt zu durchstreifen. Zu ungezähmt war ihre Macht, zu unerprobt ihre Seele … sie wusste noch nicht, was sie wollte. Und jetzt in Ravis Gesellschaft kamen ihr die große Kluft zwischen ihrer und seiner Gesellschaftsschicht und die Tatsache, dass sie mit Zauberei allein nicht zu überwinden wäre, schmerzlich zu Bewusstsein. Sie brauchte Übung. Und sie brauchte eine sichere Zuflucht. Beides konnte der Pfau ihr verschaffen.
Außerdem waren da noch die Magister. Einige wären sicherlich in Gansang und dienten den mächtigen Patriziern in dieser wohlhabenden Stadt, so wie sie andernorts Fürsten und Königen dienten. Ravi wäre in ihren Augen wohl nicht mehr als ein kleiner Kaufmann, nicht reich genug und zu unbedeutend, um einen Zauberer zu beschäftigen – warum sonst sollte er eine Hexe umwerben? –, aber er war ehrgeizig, und das bedeutete, er verkehrte in Kreisen, wo die Schwarzröcke das Sagen hatten. Der Gedanke ließ ihr Herz erbeben. Wenn sie zu Ravis Haus gehörte, könnte sie andere Magister kennenlernen, ohne enthüllen zu müssen, was sie war. Sie könnte sich ein Bild von ihnen machen, ihre Gewohnheiten studieren, in Ruhe planen, wann sie sich zu erkennen geben wollte … in welcher anderen Stellung hätte sie diese Möglichkeiten?
Langsam wandte sie sich wieder um und sah Ravi an. Ihr Blick war kalt und verriet nichts von den Gefühlen, die in ihr tobten. Sie würde ihm niemals Einblick in ihr Inneres gewähren und ihm auch sonst nichts in die Hand geben, was er als Druckmittel gegen sie verwenden könnte.
»Ich bekomme von Euch, was immer ich verlange«, sagte sie, »ohne Fragen, ohne Einschränkungen. Ihr führt mich in Eure Gesellschaft ein, als wäre ich Euer eigen Fleisch und Blut. Eure Diener behandeln mich mit gebührendem Respekt und lehren mich alles, was ich wissen muss. Aber niemand soll erfahren, in welcher Beziehung ich zu Euch stehe, für alle anderen bin ich einfach eine Dame, der Ihr Eure Gunst schenkt.« Ihre grünen Augen glitzerten. »Die Frauen werden mich um Eure Großzügigkeit beneiden, die Männer werden sich ihren Teil denken, doch der wahre Grund geht niemanden etwas an.«
»Und die Gegenleistung?«, fragte er mit unverhohlener Gier in der Stimme.
»Die Gegenleistung …« Sie lächelte kalt. »Ihr könnt jeden Wunsch äußern. Ich werde abwägen, wie wichtig er für Euch ist und was er mich kostet, und dann entscheiden, ob ich ihn erfüllen will. Wenn ja, bekommt Ihr, was Ihr verlangt. Wenn nein …« Sie zuckte die Achseln. »Es steht Euch frei, den Kontrakt jederzeit zu kündigen.«
Du willst mich zu deiner Hure machen , dachte sie, dabei begreifst du gar nicht, was eine Hure eigentlich ist. Es verleiht Macht, wenn man etwas hat, was ein Mann begehrt, und ihn dafür bezahlen lässt. Und es verleiht Macht, wenn
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