Die Seelenkriegerin: Roman (German Edition)
ihr nicht, was sie alle hier wollten. Die geheimnisvollen Bildnisse warteten schweigend, solange sie mit ihrer Suche beschäftigt war, sie halfen nicht, störten auch nicht und lösten sich in Luft auf, kaum dass sie ihre Bemühungen beendet hatte.
Wenn sie sich ihre Unterstützung sichern könnte – käme sie dann weiter? Wussten diese Gestalten, wo sich Siderea Aminestas aufhielt? Versuchten sie es ihr mitzuteilen? Oder spielte sich hier etwas ganz anderes ab?
Mit einem Seufzer erhob sie sich. Körper und Seele schmerzten nach der stundenlangen vergeblichen Konzentration. Es muss einen besseren Weg geben , dachte sie.
Sie beschwor einen Apfel und biss tief in das kühle Fruchtfleisch. Dabei betrachtete sie den blanken Holzboden, in den sie verschiedene Karten eingebrannt hatte. Es war das erste Mal, dass sie sich selbst ein Haus gezaubert hatte, anstatt ein bereits bestehendes Gebäude in Besitz zu nehmen. Das Ergebnis war ziemlich kahl und nüchtern, aber es hatte alles, was sie brauchte. Der Meditationsraum war riesig, und die Karten auf dem Boden waren sternförmig um seine Mitte herum angeordnet, als wäre er wirklich das Zentrum der Welt. Jeder Abschnitt war von einer Morati-Karte abgenommen, in der Größe angepasst und mit Zauberei genau so in das Holz gebrannt wie auf dem Originalpergament. Das Gesamtbild war wenig harmonisch, der Stil wechselte von Feld zu Feld, bei den Gebirgsketten verwandelte sich die hastig hingekritzelte Skizze eines Wanderschreibers in die satten, schwungvollen Pinselstriche des Meisterkartographen, sobald sie eine unsichtbare Grenze überschritten … aber alles in allem war es eine wirklichkeitsgetreue Darstellung der Welt. Zumindest der Teile, die von den Menschen erforscht waren.
Das Kartenwerk half ihr, sich zu konzentrieren, aber nicht viel mehr. Bislang hatte sich Siderea Aminestas erfolgreich verborgen gehalten. Mit Zauberei allein war die Frau nicht zu finden. Auch nicht von ihr.
Doch sie war nicht bereit, sich geschlagen zu geben. Es ging ihr nicht um das Kästchen voller Liebespfänder, das ihr Colivar versprochen hatte, obwohl es einen starken Anreiz darstellte. Es war eine Frage der Ehre.
Denk nach, Kamala. Denk nach. Es muss einen Weg geben.
Zum hundertsten Mal rief sie sich in Erinnerung, was sie bei der Besprechung in Keirdwyn über die Fähigkeiten der Ikati erfahren hatte. Sie können die Aufmerksamkeit von Menschen auf sich ziehen oder von sich ablenken. Nur wenige Ikati können sich tatsächlich unsichtbar machen, aber wenn die Menschen abgelenkt werden, ist das Ergebnis das gleiche. In den Mythen wird von Kriegen zwischen Menschen erzählt, bei denen die Ikati wie aus dem Nichts auftauchten, um sich an den Sterbenden gütlich zu tun. Inwiefern das ein Beweis für ihre Bannkraft ist, lässt sich schwer feststellen, denn wer hielte schon mitten in einer Schlacht inne, um zum Himmel aufzuschauen?
Eine neue Idee blitzte auf, erlosch aber wieder, bevor sie sie zu fassen bekam.
Wenn sich unsere Königin vor ihren Artgenossen verbirgt, dachte sie, dann setzt sie vermutlich diese Fähigkeit ein. Sie macht sich nicht wirklich unsichtbar, sondern lenkt die Aufmerksamkeit des Beobachters von sich ab und auf etwas anderes hin.
Kamala fröstelte vor Aufregung. Und vor Angst. Der Gedanke war vielversprechend, aber er ließe sich nur mit einem geradezu ungeheuerlichen Aufwand überprüfen. Ein ganzes Morati-Leben konnte dafür gar nicht ausreichen.
Sie schaute auf ihre Karten und vergegenwärtigte sich die Dimensionen. Hauchfeine Linien stellten breite, schäumende Flüsse dar. Eine Reihe flüchtig hingeworfener Spitzen stand womöglich für eine ganze Gebirgskette. Das gesamte Gebiet, das sie in ihren Jahren als Aethanus’ Schülerin erkundet hatte, war hier allenfalls so groß wie ihre flache Hand.
Irgendwo in dieser weiten Welt gab es einen Ort, den sie nicht untersuchen konnte. Einen Ort, den sie nicht untersuchen wollte .
Er wäre wahrscheinlich sehr klein. Vielleicht nicht größer als ein Nistplatz. Aus der Ferne nicht zu entdecken, ebenso wenig wie das Nest selbst. Aber vielleicht könnte man die Bannkraft der Königin spüren, sobald man in ihren Einflussbereich geriet? Das würde das Zielgebiet sehr vergrößern.
Würde es ausreichen, wenn man nur in die Nähe dieses Ortes käme?
Mit einem zittrigen Atemzug richtete sie abermals den Blick auf die Weltkarte.
Ich kann davon nicht jeden Zoll absuchen , dachte sie.
Aber die Ikati lebten nicht überall.
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