Liebe unter Fischen
16 . Juni
» Anrufbeantworter von Alfred Firneis. Bitte hinterlassen Sie keine Nachricht. Ich rufe nicht zurück .«
» Firneis! Ich grüße Sie. Hier spricht Beckmann, falls Sie noch wissen, wer ich bin. Hören Sie, Firneis, wär doch mal wieder Zeit, was zu machen. Ein schönes Bändchen auf die Reihe bringen. Muss nicht viel sein. Ein paar Texte werden Sie bestimmt in der Pipeline haben, Herr Firneis. Seien Sie doch so freundlich und rufen Sie mich zurück. Im Übrigen sind Sie per Mail nicht zu erreichen. Hat Ihr Computer ein Problem ?«
18 . Juni
» Anrufbeantworter von Alfred Firneis. Bitte hinterlassen Sie keine Nachricht. Ich rufe nicht zurück .«
» Firneis, ich bin’s noch mal. Beckmann. Hören Sie, es wäre doch echt an der Zeit, wieder was nachzuschieben. Die Vertreter machen Druck! Firneis, der Markt lechzt nach Ihnen! Von Im Schein der Wolkenkratzer haben wir jetzt Hundertfünfzigtausend verkauft. Jenseits von Mitte ist vergriffen, wir drucken gerade nach. Mensch, Sie sind der einzige Lyriker im deutschen Sprachraum, der Kasse macht. Sie müssen jetzt nachlegen, Firneis, der Markt vergisst schnell! Rufen Sie umgehend zurück. Oder schalten Sie Ihr Handy ein !«
19 . Juni
» Anrufbeantworter von Alfred Firneis. Bitte hinterlassen Sie keine Nachricht. Ich rufe nicht zurück .«
» Ich hätte da auch schon ’nen Titel für Sie, Firneis. Irgendwas mit Kreuzberg. So wie Liebling Kreuzberg , nur anders. Griffiger. Poetischer. Sie wissen, was ich meine, Firneis. Wir sollten keine Zeit mehr verlieren .«
19 . Juni
sms: » Lieber Firneis! Ihr Anrufbeantworter kotzt mich an. Bitte dringend um Rückruf .«
20 . Juni
Nachricht, Mobilbox: » Lieber Herr Firneis, ich weiß, dass Sie in Berlin sind. Ihr Spiel ist albern. Ich sag Ihnen die Wahrheit, Fred, ich hab Ihren neuen Lyrikband bereits angekündigt. Es fehlen eigentlich nur noch die Texte. Und der Titel! Ich … ich erhöhe Ihre Tantiemen auf elf Prozent. Bitte dringend um Rückruf! Susanne Beckmann. Ihre Verlegerin, falls Sie sich daran noch erinnern können !«
21 . Juni
Na gut, dachte Susanne, dann müssen wir es eben auf die harte Tour machen. Das störte sie nicht. So kam sie zumindest einmal aus dem Büro heraus, und das war an diesem sonnigen Nachmittag nicht das Schlechteste. Die Fahrt nach Kreuzberg zögerte sie ein wenig hinaus. Als überzeugte » Schnitte von Mitte«, wie sie sich selbst titulierte, genoss sie zunächst den gut halbstündigen Spaziergang von ihrem Verlagsbüro in der Tucholskystraße zu ihrer Wohnung in der Kollwitzstraße. Zwar hatten die iPhones und iPads, die mit ihren Menschen durch die Straßen liefen, für ihren Geschmack ein wenig überhand genommen, aber immerhin konnte sie sich unter all diesen jungen und elitären Leuten selbst auch ein wenig jugendlich und mondän fühlen.
Susanne hatte das Glück gehabt, noch vor dem Boom eine erschwingliche Mietwohnung in der Gegend um den Prenzlauer Berg zu finden. Noch dazu mit einer Dachterrasse, auf der sie nun Kaffee trank. Sie liebte dieses kleine Refugium mit dem Bretterboden und dem Holztisch, an dem sie auch abends gerne saß, mit Freunden bei Wein und Kerzenschein. Besser ging es gar nicht. Nun ja, ein Mann fehlte vielleicht für die perfekte Idylle, gestand sich Susanne manchmal ein, wenn sie ehrlich zu sich selbst war. Männer gab es in ihrem Leben. Aber der Mann war nicht dabei. Schließlich werden die Ansprüche an einen Partner im Lauf eines Lebens nicht geringer. Susannes Ansprüche waren hoch und ihr Wille, lieber allein als mit einem Kompromiss zu leben, ungebrochen.
Susanne goss ihre Rosmarinsträucher und Lorbeerbäumchen und duschte kalt, bevor sie sich auf die Reise nach Kreuzberg machte. Eine Reise, die sie nicht nur wegen der Aufgabe, die ihr bevorstand, nicht gerne antrat, sondern auch, weil sie Kreuzberg nicht sonderlich mochte. Überhaupt den Bergmannkiez, wo Fred wohnte, ein ihrer Meinung nach vollkommen überschätztes Viertel, das sie ein wenig schmuddelig fand.
Susanne Beckmann blieb vor einem Haus stehen. Sie sah an der Fassade hinauf. Die Fenster im zweiten Stockwerk waren geschlossen und von einer dicken Schmutzschicht bedeckt. Susanne atmete durch und drückte die schwere Eingangstür auf.
Die Glocke läutete schrill. Susanne drückte den Klingelknopf, immer wieder. An der Wohnungstür hing ein kleines Messingschild: Alfred Firneis. Daneben vier kleine Löcher. Offensichtlich war hier ein anderes Schild abmontiert worden. Vor
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