Die Seelenzauberin - 2
Wenn es ihr nicht gelang, sich aus den Bannfesseln zu befreien, war sie verloren.
Sie versuchte, sich wieder Schwingen wachsen zu lassen und die Vogelgestalt anzunehmen, die ihr in den letzten Tagen so gute Dienste geleistet hatte. Aber die Verwandlung war qualvoll; ihre Knochen knackten hörbar, glühende Nadeln bohrten sich in ihre Gelenke, und alle Weichteile fühlten sich an, als stünden sie in hellen Flammen. Sie biss die Zähne zusammen und zwang ihr Fleisch mit aller Kraft in die gewünschte Form. Noch nie zuvor war sie so nahe daran gewesen, die Herrschaft über ihren Körper … und ihren Mut zu verlieren.
Wenn sie mich vernichten, soll sie das teuer zu stehen kommen , schwor sie sich.
Allmählich waren die Gestalten deutlicher zu erkennen, sie traten aus den Schatten, umringten sie, postierten sich unmittelbar außerhalb des Bannkreises. So viele Magister! Sie hatte keine Zeit, nach bekannten Gesichtern zu suchen; stattdessen schwang sie sich in die Lüfte, sobald ihre Schwingen stabil genug waren, peilte den höchsten Punkt der Barriere an und zielte dabei auf eine Stelle, die ihr dünner erschien. Sie verfing sich in dem magischen Gespinst und schlug verzweifelt um sich. Ich muss hinaus! Die Magister beobachteten sie stumm. Ich muss durchbrechen! Sie riss mit ihren Krallen an den Fäden – vergebens. Endlich gab das Netz sie frei, und sie fiel auf den Boden zurück. Hektisch wie ein eingesperrter Vogel versuchte sie, die Barriere an anderen Stellen zu durchstoßen. Sie warf sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen den Bannkreis, riss mit ihren Krallen und ihrer Magie an den Strängen. Von ihren Schultern stoben die Federn auf, von ihren Krallen tropfte das Blut. Aber der Zauber, der sie gefangen hielt, blieb unversehrt; sie fand keine Stelle, die schwach genug gewesen wäre, um ihren körperlichen oder metaphysischen Kräften den Durchbruch zu ermöglichen.
Und immer noch schwiegen die Magister. Es waren so viele! Schwarzgewandete Kannibalen einer wie der andere, die sich an ihrer Verzweiflung weideten. Sie spürte, mit welcher Gier sie ihren Kampf beobachteten. Mit welchem Hass. Inzwischen umstanden sie den Bannkreis dicht gedrängt, in so vielen Reihen hintereinander, dass sie ihre Zahl nicht einmal ansatzweise zu schätzen vermochte. Sie hätte nicht gedacht, dass es auf der ganzen Welt so viele gäbe, wie sich hier versammelt hatten – und jeder Einzelne hatte mit seiner Macht zu dem Zauber beigetragen, der sie gefangen hielt. Seit ihre Sinne geweckt waren, strahlte diese Macht so hell, dass Kamala die Augen schmerzten, wenn sie hineinschaute. Und ihre Bemühungen schienen sie noch weiter zu speisen, denn mit jedem Befreiungsversuch wurde das Licht heller. Die Barriere entzog ihr immer mehr Energie.
Ich muss freikommen! Ich muss!
Zitternd vor Angst und Erschöpfung kehrte sie in ihre menschliche Gestalt zurück, um ihre Kräfte besser steuern zu können. Ihre Arme waren gefühllos, von Blutergüssen übersät, und das Blut tropfte ihr von den Fingerspitzen. Was hatten sie mit ihr vor? Die Ungewissheit war zermürbender, als ein direkter Angriff es gewesen wäre. Mit Gewalt wusste sie umzugehen, auf Gewalt wusste sie zu antworten. Doch hierauf … hatte sie nichts zu erwidern.
Die Magister beobachteten sie ungerührt. Dann begannen sie leise zu singen, in einer Sprache, die sie nicht verstand. Dennoch spürte sie sofort, dass es Worte der Macht waren, wie Hexen und Hexer sie verwendeten, um vor größeren Vorhaben ihr Athra zu bündeln. Magister brauchten solche Hilfen nicht. Was im Namen aller Höllen hatte das zu bedeuten?
Sie sah, dass sich das Gespinst bewegte und verdichtete. Wo noch kleine Lücken gewesen waren, die Hoffnung versprachen, teilten sich dünne Machtstränge wie Stopfgarn und schlossen unerbittlich jede Öffnung. Verzweifelt zog sie ihr Athra an sich und rannte damit noch einmal gegen das Teufelsgebilde an, richtete alle Kraft ihrer Seele auf den einen Punkt, der ihr am schwächsten erschien, vermochte aber kaum noch einen Hauch von Macht zu beschwören. Und der Bannkreis gab nicht nach.
»Was wollt ihr?«, keuchte sie. »Sagt es mir!«
Sie sangen ungerührt weiter. Wenn so viele Magister ihre Lebensenergien in ein einziges großes Werk einfließen ließen … wie sollte ein einzelner Mensch dagegen etwas ausrichten?
Die letzten Löcher im Gespinst schlossen sich. Lichtfäden fügten sich zu Buchstaben und Worten in einer fremden Sprache zusammen. Die Lettern waren so hell,
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