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Die Seherin von Knossos

Die Seherin von Knossos

Titel: Die Seherin von Knossos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Frank
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jüngste Tochter trug das Zeichen ihres Zorns.
    Als Verkörperung Kelas war Ileana Schöpferin und Zerstörerin zugleich. Sie hatte sichergestellt, dass keines von beiden Mädchen in Zelos’ Armen Erfüllung suchte. Sie war Kela, sie besaß Kelas Autorität, Macht und Position. Was sie wünschte, wurde von der Göttin gutgeheißen, da sie es wünschte. Ileana hatte in beiden Töchtern den Wunsch zu regieren und zu heiraten ausgemerzt; sie würden keinem Muttermord zum Opfer
    fallen.
    Man half Ileana aus ihrem Sessel, und sie trat in ihre Räume. Lichter brannten in Alabasterschalen, Leia spielte leise auf der Lyra, während Ileanas jüngster Leibeigener nackt und diensteifrig ihre Befehle erwartete.
    Er löste ihren Bauchgurt, nahm ihr dann den Rock ab und führte sie zum Läuterungsbad. Zu müde, um Widerstand zu leisten, stieg sie mit einem leisen Schaudern in das warme Wasser. Die Erinnerungen ließen sie niemals los; stattdessen wurden sie ständig stärker. Der Leibeigene bot ihr Kreenos an, das Ileana, wenn auch nach kurzem Zögern, nahm.
    Doch die Droge brachte ihr keinen Frieden.
    Die Bilder aus der Vergangenheit stiegen trotzdem vor ihr auf.
    Sie war wieder dreizehn Jahre alt und schlich sich in die Gemächer ihrer Mutter Rhea. Zelos, Ileanas älterer Bruder und Rheas Sohn, hatte eben die Wohnung verlassen, und Rhea lag nackt und schutzlos auf ihrer Liege.
    Ileana, groß und schlaksig für ihr Alter, hatte in den Falten ihrer Tunika eine Obsidianklinge verborgen. Als einfache Muschelsucherin trug sie nicht den mehrlagigen Rock, mit dem die Große Göttin geehrt wurde. Leise trat Ileana zu der Schlafenden, bis Rheas leises Schnarchen im Kopf des Mädchens zu dröhnen begann. Blondes Haar, beinahe wie Ileanas, floss über die marmorweißen Schultern. Kela-Rhea alterte nicht; sie würde den Wettlauf auf keinen Fall verlieren, sie würde den Thron der Himmelskönigin bestimmt nicht freimachen.
    Ileana hob die Klinge mit beiden Händen hoch über den Kopf und stieß sie mit aller Kraft in den Rücken ihrer Mutter. Wie die Tiere, an denen Ileana geübt hatte, wehrte sich Rhea schreiend und versuchte, sich dem Messer zu entwinden. Doch das Kegelschneckengift wirkte schnell - einen Atemzug später konnte Rhea sich nicht mehr rühren.
    »Mein Bad«, keuchte sie. »Baa-a-ad .«
    Unter dem Einfluss des Giftes bäumte sich ihr Leib noch einmal gewaltsam auf. Schließlich blieb sie reglos liegen.
    Ileana rannte auf den Balkon und zog eine zweite Muschelsucherin herein. Der erste Kelch mit Wein, den das Mädchen je gekostet hatte, hatte sie benommen gemacht, und der von Ilea-na hineingemischte Mohn hatte ihr jeden Willen geraubt.
    Sie tauschten ihre Tunikas, sodass Ileanas blutbespritztes Gewand nun das verwirrte Mädchen kleidete.
    »Halt das fest«, flüsterte Ileana ihrer ehemaligen Freundin zu, wobei sie ihre Finger um das Messerheft bog.
    Ileana hörte Schritte im Gang.
    »Lass es auf gar keinen Fall los«, zischte sie.
    Aus den Schatten heraus beobachtete Ileana, wie die Doppeltüren aufflogen und zwei Wachsoldaten hereingerannt kamen. Die beiden sahen das Mädchen in unmissverständlicher Haltung stehen, ehe sie erkannten, dass Rhea nicht einmal in ihrem Bad gestorben war. Sie würde niemals auf den Inseln der Gesegneten tanzen.
    Ohne die innere Reinigung durch das Läuterungsbad blieb sie für alle Zeiten tot.
    Soldaten badeten, bevor sie in den Krieg zogen, die Kranken wurden gebadet, wenn ihre Krankheit tödlich enden konnte. Neugeborene wurden in einem flachen Becken zur Welt gebracht, für den Fall, dass sie die Geburt nicht überlebten. Rhea war für immer verloren.
    Hinter den Wachen kam Zelos ins Zimmer gelaufen, der sich weinend über Rheas Körper warf. Mit derselben Klinge, mit der Ileana ihrer Mutter das Leben genommen hatte, nahm Zelos nun das Leben des Mädchens.
    Der Weg zum Thron der Himmelskönigin war frei.
    Blinzelnd kehrte Ileana zurück in ihr sicheres Bad, so viele Sommer von jener Nacht entfernt, und zwang ihren Geist zur Ruhe. Niemand hatte sie im Verdacht gehabt, niemand hatte auch nur geahnt, dass sie mit im Zimmer gewesen war. Durch ihre vorgetäuschte Trauer über den Tod ihrer Mutter hatte sie Zelos’ Herz gewonnen, und durch Liebeskünste, die ihrem Alter weit voraus waren, einen Platz in seinem Bett.
    Mit Leichtigkeit hatte sie die Rolle als Himmelskönigin übernommen.
    Niemand wusste etwas. Sie war sicher.
    Aber bis wann?
    Und vor wem?
    Sicherheit war eine Illusion; jederzeit

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