Die Siechenmagd
zeigt den Weibern wenigstens noch, wer der Herr im Haus ist und steht nicht unterm Pantoffel wie andere Hampelmänner“, kontert der Glatzkopf barsch und wendet sich wieder dem Gefangenen zu.
„Und was machen wir jetzt mit dem Schmierfink hier? Ich denk, wir filzen jetzt erst mal dem seinen Rucksack, da werden wir bestimmt bald fündig werden“, schlägt er vor, packt den Tornister des Flugblatthändlers und kippt den gesamten Inhalt auf den Boden. Wie ein Trüffelschwein durchwühlt er die kunterbunt übereinander liegenden Schriften und stößt auch bald auf einen Stapel Flugblätter. Triumphierend hält er den Packen in die Höhe und tönt selbstgefällig:
„Siehste, Otto, da hatt ich doch wieder mal des richtige Näschen. Das ist der Kerl, der wo die Schmähschriften in Umlauf bringen tut. Hier hammerse doch, die Pampfleede!“
„Ja meinste dann, des sin die wirklich?“, fragt der andere Büttel zweifelnd. „Man müsst halt wissen, was da druff steht, aber mir könne doch alle zwei net lesen.“
„Ich garantier dir, des sin die Pampfleedscher! Dafür hab ich doch en Riecher. Was meinst du, was sich die hohe Herrn aus dem Rathaus darüber freuen tun, dass mir den Spitzbub endlich geschnappt ham. Mir hole uns jetzt Verstärkung und dann schaffe mir den gleich in den Brückenturm, damit der da peinlich befragt werden kann.“
Kurze Zeit später wird Albert von Uffstein in den Brückenturm überstellt und dort auch sogleich einem offiziellen Verhör unterzogen. Zwar stellen sich dem lesekundigen Untersuchungsrichter die betreffenden Blätter bald als harmlose Flugblätter unverfänglichen Inhalts dar, dennoch mutmaßt der Amtmann, dass es sich bei Uffstein um einen der Drahtzieher der Flugblattaktion handeln könne und ordnet rasch eine peinliche Befragung an. Nachdem der Angeklagte jedoch weiterhin verstockt bleibt, lässt ihn der Untersuchungsrichter schließlich ins Brückenloch stecken, in der Hoffnung, die zermürbende Dunkelhaft bei Wasser und Brot werde ihn weich kochen und er werde ihnen im Anschluss mit wichtigen Informationen aufwarten.
Nachdem die Gendarmerie aber bereits schon am nächsten Tag den wahren Schuldigen dingfest gemacht hat, den früheren, unehrenhaft entlassenen Stadtpfarrer Kilb, kümmert sich niemand mehr um Uffstein, und er verbleibt einfach bis auf unbestimmte Zeit im Loch.
Im Halbdunkel des Kellergewölbes angekommen, bemerkt Albert schon nach kurzer Zeit, dass er in dem beklemmenden Kerker nicht alleine ist. Zuerst glaubt er, die keuchenden Atemzüge eines Tieres zu vernehmen und erschreckt entsprechend. Bald aber erkennt er, dass es sich bei der ins Stroh gekauerten, gänzlich verdreckten und erbarmungslos stinkenden Kreatur um ein menschliches Wesen handelt. Im diffusen Licht, das selbst an helleren Tagen spärlich genug durch das Gitter der Deckenluke dringt, nimmt er das eingefallene, vor Schmutz starrende Greisengesicht einer armen Geistes irren wahr, die ihn in ihrem Dämmerzustand noch gar nicht bemerkt zu haben scheint. Auch er nimmt zunächst keine weitere Notiz von seiner Mitgefangenen, hat er doch mehr als ihm lieb ist mit sich selbst zu schaffen. Zum ersten Mal in seinem Leben in Dunkelhaft, eingesperrt auf engstem Raum, wird ihm dieser Zustand rasch zu einer schier unerträglichen Qual. Dem rastlosen Menschen, dem das Unbehaustsein im Laufe seines Lebens zu einer zweiten Natur wurde, ist doch das Umherstreifen ein ureigenes, seinem Wesen entsprechendes Bedürfnis und das Eingeschlossensein bei weitem das Schlimmste, das ihm widerfahren kann.
Am Anfang seiner Haft versucht er in schubartigen Panikattacken immer wieder vergeblich, tobend wie ein Berserker, gegen seine Gefangenschaft aufzubegehren. Solange, bis er sich dann immer wieder vollkommen kraftlos und bis zur Erschöpfung ausgebrannt, auf dem Zellenboden wiederfindet, Auge in Auge mit einem allumfassenden Gefühl der Ohnmacht. Nur noch der Tod erscheint ihm als Ausweg, dieser Hölle zu entkommen, und er sehnt ihn herbei. Doch er kommt nicht. Und im Laufe der Zeit entdeckt Albert ein anderes Schlupfloch im Kampf gegen das Grauen: Er findet Zuflucht in seinen Gedankenwelten.
In Ermangelung seiner geliebten Bücher stärkt er sich an den erhabenen Lehren großer Denker, die ihm die grenzenlose Freiheit des Geistes nahe gebracht hatten, und trotzt so der bitteren Gefangenschaft wenigstens ein Quäntchen innere Unabhängigkeit ab, die ihn am Leben erhält und nicht gänzlich verzagen lässt. Da ihm das
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