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Die sizilianische Oper

Die sizilianische Oper

Titel: Die sizilianische Oper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Camilleri
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überzeugt, Don Memè alle erdenklichen Gründe genannt zu haben für das, was sein Auftrag war. Er öffnete sein Rasiermesser, packte ihn bei den Haaren, riß seinen Kopf nach hinten und schnitt ihm die Kehle durch, machte aber gleichzeitig einen Satz, um sich nicht mit Blut zu besudeln. Der Feldhüter war ein Meister in der Handhabung des Rasiermessers, als wäre er zeit seines Lebens Barbier gewesen. Mit der Stiefelspitze drehte er den Toten auf den Rücken und steckte ihm ein Blatt Papier zwischen die Zähne, auf dem außer dem gedruckten Briefkopf nichts stand. Die Inschrift lautete: »Königliche Präfektur von Montelusa«. Wer verstehen wollte, was damit gemeint war, würde verstehen.
    Andere hätten aus den Ereignissen in Vigàta am Abend des zehnten Dezember achtzehnhundertvierundsiebzig, als das frisch eingeweihte Theater »Re d'Italia« wenige Stunden nach der Eröffnungsvorstellung ein Opfer der Flammen wurde, einen Roman gemacht. Nicht wenige Gelegenheiten wären dem Vorhaben eines Schriftstellers und seiner Einbildungskraft zugute gekommen, da viele Punkte schon von Anfang an sehr unklar waren und es auch im folgenden blieben. So konnte man die kühnsten und abartigsten Vermutungen anstellen.
      Für mich ist es eine Pflicht, den Verführungen der Einbildungskraft nicht nachzugeben. Ich war es nämlich, der im Alter von knapp zehn Jahren als erster Alarm in Montelusa schlug und meinem armen, vor Jahren verstorbenen Vater, der als Bergbauingenieur tätig war, den Brand meldete. Mit unübertrefflichem Altruismus und allgemeinnützigen Absichten eilte er, begleitet von einigen seiner Arbeiter, nach Vigàta. Er hatte ein von ihm erfundenes Gerät bei sich, das zum Löschen von Bränden oder zumindest ihrer Eindämmung bestimmt war. Voller Sohnesstolz darf ich hier festhalten, daß der prompte Einsatz dieses Geräts dem schon stark in Mitleidenschaft gezogenen Städtchen weitere Schäden ersparte.
    Mehr als vierzig Jahre sind nunmehr vergangen, und mein Ansinnen ist heute, diese Geschichte innerhalb der gesicherten Grenzen der Tatsachen, wie sie aus Polizeiakten, Dokumenten, Briefen, Zeugenaussagen Provinzhauptstadt lag, nämlich Agrigent. Professor Baldassare Corallo, ein Chronist jener Zeit, schrieb: »Mit fortschreitender Verbesserung der wirtschaftlichen Lage begann unsere kleine Stadt sich zu jenem bürgerlichen Wohlstand hin zu entwickeln, der das Leben in ganz Italien kennzeichnete. Auch das Bürgertum strebte ein Anheben seines kulturellen Niveaus an und stellte sich mit Eifer den Forderungen der Zivilisation.«
      Dazu gehörte natürlich auch der Bau eines Theaters, das nicht nur Vergnügungsstätte gehobenerer Art, sondern zugleich ein Ort für kulturelle Begegnungen, eine Art Gemeindehaus, sein sollte, wo die Bürgerschaft sich von Zeit zu Zeit zusammenfindet, um dem erbaulichen Gastspiel eines auswärtigen Künstlers zu lauschen oder über die Probleme der Gemeinde selbst zu debattieren.
    Der Vorschlag, ein Theater zu erbauen, wurde in einer
    Versammlung des Gemeinderats am siebenundzwanzigsten März achtzehnhundertsiebzig einstimmig angenommen; die öffentliche Auftragsarbeit dazu wurde der Firma »Tempore novo« aus Misilmesi in privaten Verhandlungen übertragen. Daraufhin verbreiteten hartnäckige böse Zungen unter der Bevölkerung das Gerücht, daß sich der Abgeordnete Fiannaca, wenn auch nicht in offizieller Form, an der Spitze der beauftragten Firma befände und daß obendrein der Bürgermeister von Vigàta, der Buchhalter Casimiro Pulitanò, sein Parteigenosse sei.
    Innenministerium. Das ist die reine Wahrheit.
    Ein Anarchist, ein gewisser Federico Passerino, ließ ein
    niederträchtiges und verdorbenes Pamphlet gegen den Abgeordneten drucken, in dem unter anderem eine Klüngelei zwischen Fiannaca und dem Bürgermeister von Vigàta, Pulitanò, wegen des genannten Auftrags unterstellt wird. Es muß vorausgeschickt werden, daß Passerino – ein gottloser Mensch ohne eine Familie hinter sich, der weder eine Stellung noch ein Vermögen vorzuweisen hat und dem sämtliche Eigenschaften fehlen, die Voraussetzung für die Zugehörigkeit zur bürgerlichen Gemeinschaft sind – eines Tages in der Öffentlichkeit persönlich von dem Abgeordneten in Schutz genommen wurde: einige Anhänger des Politikers, empört ob der zahlreichen Anwürfe, die dieses verabscheuungswürdige Wesen gegen das Schaffen des Fiannaca geiferte, hatten ihn zu Recht angegriffen. Der Abgeordnete entschied, mehr um die

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