Die sizilianische Oper
Ein Roman, so deftig, schwungvoll und stimmungsreich wie eine italienische Oper zu Zeiten, als Italien noch ein Königreich war: Im sizilianischen Städtchen Vigàta soll das neue Theater eingeweiht werden. Gegen allen Protest hat der frischgebackene Präfekt, der zu allem Übel aus der fernen Toskana stammt, die entsetzlich schlechte Oper eines drittklassigen Komponisten ausgewählt. »Der Bierbrauer von Preston«. Doch er hat nicht mit der Gewitztheit der Vigateser gerechnet: Sie schaffen es. nicht nur die Obrigkeit, sondern auch alle, die mit ihr an einem Strang ziehen, lächerlich zu machen. Ein Reigen von äußerst lebendigen, komischen und tragischen Vorfällen setzt ein. und nach dem gründlichen Mißlingen des feierlichen Abends steht dann auch noch das Theater in Flammen. Verdächtige gibt es jede Menge, doch wer von ihnen würde tatsächlich so weit gehen?
Köstliche Charakterdarsteller, pralle Erotik, viel Lokalkolorit und ein rasantes Erzähltempo – all dies macht »Die sizilianische Oper« zu einem der besten Romane Camilleris.
Andrea Camilleri wurde 1925 in Porto Empedocle, Sizilien, geboren und lebt heute in Rom. Seine historischen Romane und Krimis lösten in den vergangenen Jahren ein regelrechtes Camilleri-Fieber aus und belegten zeitweise acht der zehn Plätze auf den italienischen Bestsellerlisten. Er gilt als der wichtigste lebende Autor Siziliens.
Die Nacht war zum Fürchten. Ein gewaltiger Donnerschlag brachte die Fensterscheiben zum Klirren und schreckte den knapp zehnjährigen Gerd Hoffer aus dem Schlaf. Im selben Augenblick spürte er, daß er dringend mußte. Das mit der schwachen Blase war eine alte Geschichte: die Ärzte hatten dem Knaben eine angeborene Nierenfunktionsstörung diagnostiziert, und Bettnässen war also etwas ganz Natürliches bei ihm. Doch sein Vater, der Bergbauingenieur Fridolin Hoffer, war auf dem Ohr taub: es ließ ihm keine Ruhe, einen solchen Nichtsnutz von deutschem Sohn in die Welt gesetzt zu haben. Er war der Meinung, daß hier keine medizinische Behandlung, sondern eine feste Hand zur Stärkung der Willenskraft angesagt sei. So machte er sich jeden von Gott gewollten Morgen daran, das Bett des Sohns zu untersuchen: er lüpfte die Decke oder das Leintuch, je nach Jahreszeit, ließ die inquisitorische Hand darunter gleiten … und stieß unweigerlich auf etwas Feuchtes. Darauf versetzte er dem Kind eine saftige Ohrfeige, auf daß die getroffene Wange anschwoll wie ein Klumpen Hefeteig. Um zumindest an diesem Morgen der Bestrafung durch die väterliche Hand zu entgehen, erhob sich Gerd in der Dunkelheit, die von Blitzen erleuchtet war, und machte sich tapsend auf den Weg in Richtung Abort. Das Herz schlug ihm bis zum Halse aus Angst vor lauernden Gefahren und Überraschungen auf seiner nächtlichen Wanderung. Einmal war ihm eine Eidechse die Beine hinaufgekrochen, und ein andermal war er mit Richtung Vigàta und das Meer, einige Kilometer von Montelusa entfernt. Jedesmal geriet er in große Erregung, wenn er in der Ferne auf dem Wasser das schwache Licht einer Karbidlampe eines vereinzelten Fischerkahns auf Nachtfang gewahrte. Dann setzte mit einem Schlag eine Musik in seinem Kopf ein, Empfindungen ballten sich zusammen, die er nicht aus sich herausbrachte, seltene Worte kamen ihm in den Sinn und funkelten wie Sterne am tiefschwarzen Himmel. Schweiß trat ihm aus den Poren, und wenn er wieder im Bett lag, konnte er kein Auge schließen. Hin und her wälzte er sich, bis das Bettuch zu einem Strick geworden war. In einigen Jahren würde er Dichter und Schriftsteller sein. Aber noch ahnte er nichts davon.
In jener Nacht war es anders. Inmitten von Blitzen und
Donnerschlägen, die ihn zugleich ängstigten und faszinierten, bot sich seinen Augen ein noch nie gesehener Anblick. Über Vigàta stand die Morgendämmerung oder etwas Ähnliches am Himmel, was mit absoluter Sicherheit nicht der Fall sein konnte und durfte. Hatte der Vater ihm doch mit teutonischer Genauigkeit bis in alle wissenschaftliche Einzelheiten erklärt, daß das Tageslicht auf der gegenüberliegenden Seite entstand, was vom großen Fenster des Speisesaals aus zu beobachten war. Er sah genauer hin. Da war kein Zweifel: ein rötlicher Halbmond bedeckte den Himmel über Vigàta, in seinem Widerschein waren sogar die Umrisse der Häuser zu hatte nun ihre Bahn geändert (bei dieser Vorstellung schwindelte ihm, dem geborenen Dichter und Schriftsteller, vor lauter Aufregung), oder sein Vater hatte
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