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Die Sonne war der ganze Himmel

Die Sonne war der ganze Himmel

Titel: Die Sonne war der ganze Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Powers
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mit seinem Gewehr über der Mauer und schreckte immer wieder aus dem Schlaf auf, riss ab und zu den Kopf hoch und fuhr herum, um zu prüfen, ob ihn jemand gesehen hatte. Als er mich in der Morgendämmerung breit angrinste, wirkte er fast verwahrlost. Dann rieb er sich mit dem Zeigefinger Tabasco-Soße in die Augen, um wach zu bleiben. Er wandte sich wieder unserem Sektor zu, und ich sah, wie sich seine Muskeln unter der Ausrüstung anspannten und wölbten.

    Ich fand es tröstlich, Murph rechts von mir atmen zu hören. Zwischen den Atemzügen spuckte er wie üblich regelmäßig und zielgenau in die dunkle, immer größer werdende Pfütze zwischen uns. Er sah lächelnd zu mir auf: »Wie wär’s mit einem Muntermacher?« Ich nickte. Er reichte mir die aus einem Carepaket stammende Dose Kodiak-Tabak, und ich drückte die Zigarette aus und schob mir eine Prise hinter die Unterlippe. Der feuchte Tabak brannte, Tränen traten mir in die Augen. Ich spuckte in die Pfütze. Ich war wach. Die Stadt nahm im grauen, frühmorgendlichen Licht langsam Gestalt an. Jenseits der von Leichen bedeckten Felder hingen weiße Fahnen in den Fenstern mancher Häuser. Wenn noch Reste der geborstenen Scheiben in den Rahmen steckten, wirkten sie wie seltsame Häkelarbeiten. Die Fenster selbst saßen in weiß getünchten Wänden, die mit zunehmender Helligkeit immer greller wurden. Der über dem Tigris hängende Dunst löste sich auf und enthüllte die paar letzten Anzeichen von Leben, und der sanfte, aus dem nördlichen Gebirge kommende Wind ließ die weißen Lumpen in den grünen Fensterrahmen flattern.
    Sterling tippte auf seine Armbanduhr. Wir wussten, dass der Muezzin bald seinen Gesang anstimmen würde, unheimliche Molltöne, die die Gläubigen zum Gebet riefen. Es war ein Signal, und wir wussten, was es bedeutete: Stunden waren verstrichen, und wir waren näher an unserem Ziel, das ebenso verschwommen und fremdartig wirkte wie die zum Verwechseln ähnlichen Dämmerungen am Morgen und am Abend.
    »Hoch mit euch, Jungs!«, befahl der Lieutenant.
    Murph setzte sich auf und schmierte in aller Seelenruhe den Verschluss seines Gewehrs, lud durch und lehnte es gegen die niedrige Mauer. Dann fixierte er die Straßen und Gassen, die sich grau und winkelig zum vor uns liegenden Feld öffneten. Ich konnte seine blauen Augen sehen, deren Weiß von einem Spinnennetz aus roten Äderchen durchzogen war. Während der letzten Monate waren sie tiefer in die Höhlen gesunken. Ich sah manchmal nur zwei Schatten, zwei leere Löcher, wenn mein Blick auf sein Gesicht fiel. Ich lud mein Gewehr durch und nickte ihm zu. »Geht wieder los«, sagte ich. Er lächelte schief. »Immer die gleiche Scheiße«, antwortete er.

    Während der ersten Stunden der Schlacht, der Mond war nur ein schmaler Strich, hatten wir dieses Gebäude erreicht. Alle Fenster waren dunkel. Unser Fahrzeug durchbrach ein wackeliges Metalltor, früher rot gestrichen, inzwischen jedoch so verwahrlost, dass man Farbe und Rost nicht mehr voneinander unterscheiden konnte. Nachdem sich die Klappe unseres Fahrzeugs geöffnet hatte, stürmten wir zur Tür. Ein paar Soldaten der ersten Gruppe liefen nach hinten, der Rest des Zuges wartete vorn. Wir traten beide Türen gleichzeitig ein und stürmten das Haus. Es war leer. Die auf den Gewehren befestigten Lampen schnitten schmale Tunnel aus Licht in das Dunkel, als wir die Zimmer durchkämmten, doch wir sahen nur den von uns aufgewirbelten Staub. In einigen Zimmern waren Stühle umgekippt, und wo Scheiben durch Beschuss zu Bruch gegangen waren, hatte man bunte Webteppiche auf die Fensterbänke gelegt. Kein Mensch weit und breit. Manchmal bildeten wir uns ein, jemanden zu sehen, und brüllten, er solle sich auf den Boden werfen, aber da war niemand. Wir durchsuchten das Haus von unten nach oben und standen schließlich auf dem Dach. Von dort schauten wir auf das Feld. Es schien nur aus Staub zu bestehen, und dahinter zeichnete sich dunkel die Stadt ab.
    Am ersten Tag trat unser Dolmetscher, Malik, frühmorgens auf das flache Betondach und setzte sich neben mich gegen die Wand. Eigentlich hätte es noch dunkel sein müssen, aber der Himmel verbreitete ein fahles Licht, war so weiß wie ein Himmel vor dem Schneefall. Der Lärm von Gefechten drang aus der Stadt zu uns herüber. Sie hatten uns noch nicht erreicht, und die einzigen Hinweise darauf, dass wir Krieg führten, waren der Krach von Maschinengewehren und Raketen und das Heulen der Hubschrauber, die

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