Ein unwiderstehliches Angebot: Roman (German Edition)
Kapitel 1
Vivian Lacrosse erhob sich und wischte vergebens über den Dreck auf ihren Röcken. Irgendwie machte sie es damit nur noch schlimmer. Sie lächelte entschuldigend.
»Ich denke, ich sollte mich wohl erst umziehen.«
»Ich schicke die Zofe zu Euch.«
Der Butler White sah so makellos aus wie immer. Nicht eines seiner grauen Haare lag nicht glatt an, und seine Miene war undurchdringlich. Falls er es anstößig fand, dass die Tochter eines Baronets in der Erde eines Blumenbeets herumwühlte, ließen seine Gesichtszüge das nicht erkennen.
Er kannte diese exzentrischen Angewohnheiten.
»Der gnädige Herr bittet Euch, ihn im Salon aufzusuchen, Miss Vivian. Ich werde ihn informieren, dass Ihr in Kürze dazustoßen werdet.«
Im Salon? Sie schaute überrascht. Dass er sie würde rufen lassen, damit hatte sie gerechnet … aber warum der Salon? Gewöhnlich verschwand er mit dem Duke of Sanford, wenn dieser ihn besuchte, ganz zwanglos in seinem Arbeitszimmer, wo die beiden Männer Brandy tranken und rauchten. Zwar hatte sie diesmal mit einem ernsten Gespräch gerechnet, jedoch nicht damit, dass es so förmlich zuging.
Vermutlich würde sie jetzt von dem drohenden Skandal in Kenntnis gesetzt.
Sie blieb noch ein Weilchen draußen stehen und atmete tief durch. Der Tag war wunderschön, ein wolkenloser Himmel wölbte sich azurblau über dem Land. Einfach perfekt. Der Garten war wie ein Versprechen. Sie liebte es, wenn die Rosen die ersten grünen Triebe zeigten und im Rhododendron winzige rote Knospen aufblitzten. Der Flieder blühte bereits … süß duftende, zarte Blüten bedeckten die Zweige. Im Hintergrund zwitscherten die Vögel.
Sie hatte es vorgezogen, sich mit Unkrautzupfen abzulenken, statt tatenlos in ihrem Zimmer zu sitzen und auf den Sturm zu warten, der nach Charles’ ungestümem Verhalten zwangsläufig über sie hereinbrechen würde.
Ungestüm, das beschrieb ihren Verlobten recht treffend.
Vielleicht fanden sie es ja angemessen, ihr die schlechte Nachricht zumindest sehr förmlich zu übermitteln. Nur warum musste sie dem Duke überhaupt gegenübertreten? Sie dachte, ihr Vater würde es ihr mitteilen, sobald sein Freund sich verabschiedet hatte.
Irgendetwas Unerwartetes ging hier vor.
»Hilft nichts«, murmelte sie und straffte die Schultern.
Zwanzig Minuten später stand sie in der Tür zum Salon. Sie hatte ein elfenbeinfarbenes Musselinkleid mit hellgrünen Bändern angezogen, die Haare zu einem schlichten Knoten im Nacken frisiert und die Hände sorgfältig vom letzten Rest Gartenerde befreit. Die Herren erhoben sich höflich, als sie den Salon betrat. Allerdings waren es nicht zwei Gentlemen, die sie erwarteten, sondern drei.
Vivian war mehr als überrascht.
Das machte alles nur noch schlimmer, dachte sie missmutig. Sie hoffte, sich so weit unter Kontrolle zu haben, dass niemand ihre Bestürzung merkte. Rasch deutete sie einen Knicks an.
»Guten Tag, Euer Gnaden. Lucien.«
»Vivian.« Der Duke war die ältere Version seiner Söhne: hochgewachsen, mit fein geschnittenen Gesichtszügen und dunkelbraunem Haar, das an den Schläfen ergraute. Vom Wesen her nahm er die Mitte ein, war weder von so großer Spontaneität wie Charles, noch legte er Luciens geschliffene Reserviertheit an den Tag.
Was tat bloß Charles’ Bruder hier?
»Bitte, meine Liebe. Setz dich doch.«
Vivians Vater wies auf einen mit Seide bespannten Polsterstuhl.
Gehorsam sank sie auf den Sitz, während ihr Herzschlag sich beschleunigte. Für sie stand inzwischen zweifelsfrei fest, dass Charles sie in eine verzwickte Lage gebracht hatte.
Der Duke und ihr Vater nahmen ebenfalls Platz. Lucien Caverleigh hingegen, Marquess of Stockton, blieb stehen.
Er stand direkt neben dem Kamin und schaute zu ihr herüber, die Schulter lässig gegen die Einfassung aus italienischem Marmor gelehnt. In der schlanken Hand hielt er ein Glas Claret. Er war auf legere Art elegant gekleidet, trug einen dunklen Mantel, der perfekt zu seinen breiten Schultern passte, darunter eine saphirblaue Weste, die exakt von der gleichen ungewöhnlichen Farbe war wie seine Augen. Eine gelbbraune Reithose und polierte Reitstiefel komplettierten das Bild.
Kurz blickte sie zu ihm auf und fragte sich, warum er wohl hier sein mochte. Seine Mundwinkel verzogen sich ganz leicht zu einem ironischen Lächeln.
Luciens Anwesenheit war wirklich völlig überflüssig, dachte sie. Je weniger Menschen sie beobachteten, umso besser. Und er war der Letzte, der sehen
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